Der Kreis aus Stein
den Bäumen fielen. Er hatte keine Wort für das kalte Weiß und auch keine Erinnerung daran.
Alles schien neu, voller Wunder. Er fühlte sich sehr müde, aber als er zur Burg kam, konnte er erst recht nicht schlafen.
Hier umgab ihn zuviel Aufregendes, Menschen, die hinter ihm vor Schmerzen schrien. Er betrachtete die Feste, sah eingestürzte Türme. Er konnte sich nur verwundert fragen, wie sie zerstört worden waren.
Eine Frau führte ihr Pferd den Hügel hinauf zu einem großen Baum, wo Speere im Kreis standen.
Sylvarresta hörte zu, wie der junge Mann mit der Frau sprach, dann sah er hoch in den Baum. Eine orange Katze, die Sorte halbwilder Mäusefänger, wie man sie häufig auf Bauernhöfen antraf, saß auf einem Ast und starrte ihn an.
Dann erhob sie sich, machte einen Buckel und lief einen dicken Ast entlang, bis sie sich über König Sylvarresta befand und sich ihr Schwanz in der Luft kringelte. Sie miaute hungrig und betrachtete etwas auf dem Boden.
König Sylvarresta folgte ihrem Blick und bemerkte einen Mann, der auf dem Boden unter einem glänzenden grünen Umhang lag. Er erkannte diesen königlichen Mantel wieder, es war derselbe, der ihn am Morgen in seinen Bann gezogen hatte. Und auch den Mann darunter erkannte er wieder.
König Orden. Sein Freund.
Im selben Augenblick wurde ihm klar, daß hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Orden bewegte sich nicht. Seine Brust hob und senkte sich nicht. Er hatte bloß die Hände um eine blaue Blume gefaltet.
In einem winzigen Augenblick brach Sylvarrestas Welt in sich zusammen. Ihm fiel wieder ein, was das hier war, er holte es aus irgendeinem tiefen Ort herauf, wo all sein Grauen verborgen lag.
Er brüllte wortlos, denn er wußte nicht, wie er dieses Etwas benennen sollte, und sprang von seinem Pferd. Er landete auf dem Boden, stolperte durch den Schnee, glitt aus im Matsch, dann hatte er den Zaun aus Speeren durchbrochen und ergriff Ordens Hand.
Die kalten Finger des Toten hielten eine einzige Blume umklammert, blau wie der Himmel. Sylvarresta grabschte nach den Fingern, hob sie an und versuchte sie dazu zu bringen, daß sie sich bewegten. Er berührte Ordens Wange, streichelte sie und stellte fest, daß sie so kalt war wie alles übrige an ihm.
Sylvarresta weinte und drehte sich um, weil er herausfinden wollte, ob die anderen dieses große, dunkle Geheimnis kannten, ob sie von dieser Bestie wußten, die hinter ihnen allen her war.
Er blickte in die Augen eines jungen Mannes und einer Frau und sah das Entsetzen dort.
»Ja«, sagte die junge Frau. »Tot. Er ist tot.«
Sie kannten das Geheimnis.
Die Frau forderte ihn in traurigem, gleichzeitig tadelndem Ton auf: »Vater – bitte komm dort weg!«
Unten ritt ein Ritter auf einem mächtigen Schlachtroß über die Felder, kam pfeilschnell auf sie zugerast, Visier und Lanze gesenkt. Er kam so schnell näher. So schnell.
Sylvarresta schrie das große Geheimnis heraus. »Tod!«
KAPITEL 35
Gebrochene Männer
Gaborn vernahm dumpfe Hufschläge und das Klirren eines Kettenharnisches, als einzelne Glieder gegeneinander schlugen. Er hatte angenommen, daß es nur ein hiesiger Ritter sei, der über das grasbewachsene Hügelland ritt – bis er das kehlige, nach innen gekehrte Kampflachen hörte, ein Geräusch, das ihn mit Angst erfüllte. Er hatte König Sylvarresta beobachtet, erschüttert und traurig darüber, daß dieser arme Narr, der so gut wie nichts wußte, gezwungen worden war, dem Tod gegenüberzutreten. Es war, als sähe man zu, wie ein Kind von Hunden zerrissen wurde.
Ihm blieb gerade noch genug Zeit, Iome hinter sich zu schieben, herumzuwirbeln, eine Hand zu heben und zu rufen: »Nein!«
Dann donnerte Borensons Hengst mit scheppernder Rüstung vorbei. Gewaltig. Unaufhaltsam.
Borenson hatte seine Lanze auf der anderen Seite des Pferdes gesenkt, zwanzig Fuß polierten, weißen Eschenholzes mit der geschwärzten Stahlspitze am Ende. Gaborn spielte mit dem Gedanken, sich nach vorne zu werfen und die Lanzenspitze abzulenken.
Doch Borenson war vorbei, bevor er handeln konnte. Gaborn stand nur dreißig Fuß von König Sylvarresta entfernt, in dieser einen Sekunde jedoch schien die Zeit sich zu dehnen.
Hundertmal hatte er seinem Leibwächter beim Turnierkampf zugesehen. Der Mann hatte eine feste Hand, ein sicheres Gespür. Er konnte eine Pflaume mit der Lanze von einem Zaunpfahl herunterholen – sogar auf einem Schlachtroß, das mit sechzig Meilen in der Stunde vorangaloppierte.
Jetzt näherte
Weitere Kostenlose Bücher