Der Kreis aus Stein
überlegte Gaborn. Es ist die Pflicht eines Runenlords, sich zwischen seine Untergebenen und die Gefahr zu stellen, die Schläge des Feindes einzustecken, damit schwache Menschen nicht leiden müssen.
Obwohl er über jedes Maß verletzt war, klagte er nicht, und erlaubte sich auch nicht, seinen Verlust zu betrauern.
Ebensowenig, gelobte er, wie er im Angesicht der Gefahr niemals weichen würde.
Aber er fürchtete, daß dieser Tag, diese Taten, ihn bis in seine Träume verfolgen würden.
Sein Days stand hinter ihm unter der Ulme. Gaborn sagte: »Ich habe Euch vermißt, Days. Ich hätte es nicht geglaubt, doch ich habe Eure Anwesenheit vermißt.«
»Genau wie ich die Eure, Euer Lordschaft. Wie ich sehe, hattet Ihr ein kleines Abenteuer.«
Dies war die Art des Days, ihn zu bitten, die leeren Stellen in seinem Wissen auszufüllen. Gaborn kam in den Sinn, daß der Days eigentlich gar nicht wußte, was er alles erlebt hatte – wie er sich dem Erdgeist verschworen hatte, oder wie er das Buch des Emirs von Tuulistan gelesen oder sich verliebt hatte.
»Sagt mir eins, Days«, bat Gaborn, »in alter Zeit wurden die Männer und Frauen Eures Ordens die ›Wächter des Traumes‹
genannt, nicht wahr?«
»Vor langer Zeit, im Süden, ja«, antwortete der Days.
»Und warum?«
»Ich will Euch eine Gegenfrage stellen, Euer Lordschaft.
Wenn Ihr träumt, seht Ihr Euch dann manchmal durch vertraute Länder wandern, zu Orten, die nicht miteinander in Verbindung stehen?«
»Ja«, sagte Gaborn. »Hinter dem Palast meines Vaters in Mystarria gibt es einen Pfad, und wenn ich in meinen Träumen auf meinem Pferd dort entlangreite, finde ich mich manchmal in den Feldern hinter dem Saal des Herzens wieder, die wenigstens vierzig Meilen vom Palast entfernt liegen. Oder ich reite über diese Felder und finde mich an einem Teich im Dunnwald wieder. Hat das etwas zu bedeuten?«
»Das ist lediglich ein Zeichen für einen wohlgeordneten Verstand, der versucht, sich einen Reim auf diese Welt zu machen«, antwortete sein Days.
»Und wieso beantwortet das dann meine Frage?« wollte Gaborn wissen.
»In Euren Träumen gibt es Pfade, die Ihr nicht zu betreten wagt«, erklärte der Days. »Euer Verstand scheut vor dieser Erinnerung zurück, aber auch sie sind Teil der Traumlandschaft. Erinnert Ihr Euch auch an sie?«
Gaborn erinnerte sich. Während der Days sprach, dachte er an eine Zeit vor vielen Jahren zurück, als er mit seinem Vater durch die Berge gereist war, und sein Vater gewollt hatte, daß er einen Pfad durch eine steile, enge Bergschlucht aus schwarzen Felsen, zwischen denen Spinnweben hingen, hinaufreitet. »Ich erinnere mich.«
Der Days sah Gaborn mit zusammengekniffenen Augen an und nickte kaum merklich. »Gut, dann seid Ihr ein Mann mit Mut, denn nur tapfere Männer erinnern sich an diesen Ort.
Eines baldigen Tages werdet Ihr Euch durch Eure Träume reiten sehen. Wenn, dann nehmt diesen Pfad und schaut, wohin er Euch führt. Vielleicht werdet Ihr dann die Antwort auf Eure Frage finden.«
Gaborn sah den Days fragend an. Es war ein Trick, das wußte er, wenn man jemandem erzählte, was er in seinen Träumen machen soll. Der Verstand würde exakt so arbeiten, wie man es ihm aufgetragen hatte, und den Befehl ausführen.
»Ihr wollt wissen, was mir in den vergangenen drei Tagen zugestoßen ist«, sagte Gaborn. »Wäre es egoistisch, wenn ich mein Wissen für mich behielte?«
»Ein Mann, der ein Diener aller sein will, sollte nie einem egoistischen Verlangen nachgeben«, entgegnete der Days.
Gaborn mußte lächeln. »Nachdem ich Euch verlassen hatte«, begann er, und dann erzählte er ihm die Geschichte in voller Länge.
Eine volle Stunde lang berichtete er die Ereignisse und dachte dabei über seine neuen Verpflichtungen nach.
Inzwischen hatten die Übereigner seines Vaters ihre Gaben zurückerhalten, das Volk von Mystarria wäre also darüber informiert, daß der König tot war. Die Menschen würden auf Nachrichten warten. Inzwischen waren die kleinen Jungs auf ihren Graaks bestimmt auf dem Weg nach Burg Sylvarresta.
Gaborn würde dorthin gehen und Briefe nach Hause schicken müssen. Seinen Krieg planen müssen.
Myrrima kam angelaufen und riß ihn aus seinen quälenden Gedanken. Ihre Hüften wogten wie ein aufgewühltes Meer unter dem grauen Seidenstoff ihres Kleides.
Sie tat etwas, das noch keine Frau bei ihm getan hatte. Sie kam zu ihm, legte mitfühlend ihre Hand auf seine, streichelte sie einfach und sah ihm dabei
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