Der Kreis aus Stein
Selbst unter den Weisen verstehen nur wenige Männer die große Kraft, die man aus dem Dienen ziehen kann.«
»Das ist alles?« fragte Gaborn.
»Meine Pflanzen wachsen, um den Menschen dieses Landes zu dienen. Ihr habt gesehen, wie ich sie mit menschlichem Abfall gedüngt habe. Ich habe den Dung von vielen Menschen verwendet, über viele Generationen hinweg. Daher dienen die Pflanzen diesen Menschen.
Wir sind alle… miteinander verbunden. Die Menschen, Pflanzen, Erde, Himmel, Feuer, Wasser. Wir sind nicht viele Dinge, sondern ein Ganzes. Und wenn wir das erkennen, dann fangen wir an, aus der Einen Großen Kraft zu schöpfen – der heiligen Kommunion.«
Binnesman verstummte und sah Gaborn erwartungsvoll an.
»Versteht Ihr das?«
Gaborn dachte nach und glaubte nach und nach zu erfassen, was Binnesman zu sagen versuchte, aber ob er es wirklich begriff, wußte er noch nicht.
»Es gibt Gärten in Mystarria«, sagte Gaborn mangels einer anderen Antwort. »Ich werde mit meinen Gärtnern sprechen und in Erfahrung bringen, was ich pflanzen muß. Im Haus des Verstehens sollte es möglich sein, viele verschiedene Arten von Samen zu bekommen.«
»Darf ich mir Eure Gärten ansehen?« fragte Binnesman.
»Vielleicht könnte ich Euch in Fragen ihrer Nutzung beraten.«
»Sehr gern«, meinte Gaborn. »Aber Ihr habt Euer ganzes Leben hier verbracht. Warum bleibt Ihr nicht im Dunnwald?«
»Welchen Sinn hätte das?« fragte Binnesman. »Der Siebente Stein ist gefallen. Der Obalin ist tot. Ich kann nichts mehr von ihm lernen, und ich kann ihm nicht länger dienen. Mein Garten ist zerstört.«
»Euer Wylde. Was ist damit?«
»Ich habe den ganzen Nachmittag nach ihr gesucht, auf die Bäume und Gräser gelauscht. Wenn sie auf der Erde wandelt, dann weit entfernt von hier. Ich werde in Fleeds und weiter südlich nach ihr suchen, bis ich sie finde. Vielleicht in Mystarria.«
»Aber die Wälder?«
»Sind wirklich wunderschön«, meinte Binnesman. »Ich werde sie vermissen. Jetzt seid Ihr mein König. Ich werde Euch folgen.«
Es hatte einen so seltsamen Klang, dieses Treuebekenntnis.
Nach Gaborns Wissen hatte noch kein Erdwächter einem König die Treue geschworen. Zauberer waren Einzelgänger, die abgeschieden von den Menschen lebten.
»Er wird schrecklich werden, nicht wahr?« fragte Gaborn.
»Der Krieg. Ich fühle ihn. Ich fühle… wie sich unter der Erde etwas verschiebt. Energien, die in Bewegung geraten.«
Binnesman nickte bloß. Gaborn sah nach unten und bemerkte, daß der Zauberer barfuß war, obwohl zwischen den Blättern des Gartens stellenweise noch immer Schnee lag.
Jetzt sprach Gaborn endlich aus, was ihn den ganzen Nachmittag über belastet hatte. »Ich habe mich ihm von ganzem Herzen verschworen. Ich hatte mich meinem Vater verschworen. Ich habe versucht, ihn zu beschützen und ihm zu dienen – genau wie ich mich Sylvarresta und Chemoises Vater und Rowan verschworen hatte. Und doch habe ich sie enttäuscht. Sie sind alle tot – die Samen der Menschheit, zu deren Rettung ich mich entschlossen hatte. Sagt mir Binnesman, was muß ich noch tun?«
Der Zauberer betrachtete Gaborn ganz offen. »Versteht Ihr nicht, mein Lord? Es genügt nicht, sie einfach nur zu wollen.
Ihr müßt ihnen mit Eurem ganzen Verstand, mit Eurem ganzen Willen dienen.«
Tief in seinem Herzen fragte Gaborn sich, was er tun mußte, und als Antwort verspürte er ein erschreckend elendes Gefühl, ein Gefühl, daß die gesamte Welt ins Wanken geriet, sich unter seinen Füßen bewegte, und er nichts hatte, um Halt zu finden.
Er hatte seinen Vater und Sylvarresta ganz bestimmt geliebt und hatte alles getan, um die beiden Könige am Leben zu erhalten.
»Es ist meine Schuld, daß Raj Ahten noch lebt«, sagte Gaborn nachdenklich. »Ich habe ein zu dünnes Netz gewoben, um eine so große Fliege zu fangen.« Gaborn mußte über das Bild lächeln.
Doch da war noch etwas, das er tun mußte, etwas, das er weder recht fassen noch aussprechen konnte. Für Gaborn waren diese Kräfte noch so neu. Er kannte sein eigenes Maß nicht, seine Verantwortung.
Dann sagte Binnesman etwas, Worte, die Gaborn Zeit seines Lebens nicht mehr loslassen würden. Und als Binnesman das Geheimnis aussprach, spürte Gaborn, wie sein Verstand aus den Angeln geriet: »Begreift Ihr nicht, mein Lord? Es reicht nicht, einen Mann für den Erdgeist auszuwählen. Die Kräfte der Erde lassen nach, während die des Feuers immer stärker werden. Jeden, den Ihr zu retten wünscht,
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