Der Kreis aus Stein
tief in die Augen. Nur wenige Frauen hatten es gewagt, ihn so vertraulich zu berühren.
»Mein Lord«, sagte sie leise, »ich… Euer Vater war ein guter Mann. So tief, wie er empfunden hat, so sehr wird er vermißt werden. Ich werde… sein Angedenken stets in Ehren halten.«
»Danke«, sagte Gaborn. »Er hat es verdient.«
Myrrima zog an Gaborns Hand und forderte ihn auf: »Kommt hinunter zum Haus, in den Garten. Es ist ein schöner Garten. Das wird Eure Stimmung heben, während Borenson und ich das Abendessen zubereiten. An den Reben hängen Trauben, und auf dem Feld gibt es Gemüse. Im Räucherhaus habe ich Schinken gefunden.«
Gaborn hatte seit gestern abend nichts gegessen. Er nickte matt, ergriff ihre Hand und führte sein Pferd hinunter zum Haus. Hinter ihnen ritt schweigend sein Days.
Der Garten hinter dem Gutshaus war genau so, wie es Myrrima versprochen hatte. Der Schnee war fast völlig weggeschmolzen und hatte den Garten naß und frisch zurückgelassen. Mit Rosen und Wistarien überwachsene Steinmauern umschlossen den Garten. Überall wuchsen Kräuter und hübsche Blumen.
Ein breiter Bach schlängelte sich quer durch die Wiese. In seinem tiefen, felsigen Becken sonnten sich fette Forellen und schnappten nach Bienen, die summend durch die Blumen am Wasserlauf flogen.
Gaborn wanderte eine volle Stunde zwischen den Kräutern umher und untersuchte Pflanzen. Er war nicht so großartig wie Binnesmans Garten, bei weitem nicht so weitläufig, wild und mannigfaltig. Gaborn wußte ein wenig über Kräuterkunde, soviel, wie die meisten Prinzen lernten. Daher war es unvermeidlich, daß er beim Umherwandern Dinge entdeckte, die er brauchen würde: Hundstod, der auf einem Spalier an der Südmauer des Gutshauses wuchs, ein wenig Hirtentäschel zum Stillen von blutenden Wunden, Mohnsamen, der ihm beim Einschlafen helfen sollte. Es gab so viele Kräuter, daß er nicht wußte, was er mit ihnen anfangen sollte.
Er war so in das Ernten von Malvenwurzeln vertieft, mit denen man Verbrennungen behandelte, daß er anfangs gar nicht mitbekam, daß Binnesman kurz vor dem Abendessen eintraf.
»Hallo«, sagte Binnesman der Zauberer hinter Gaborns Rücken und erschreckte ihn. »Ihr sammelt jetzt also Kräuter?«
Gaborn nickte. Er befürchtete, einem meisterlichen Kräutersammler wie Binnesman könnten seine Bemühungen jämmerlich vorkommen. Gerade kniete er neben den aromatisch duftenden, gezackten Blättern dicht über dem Boden und fühlte sich plötzlich verunsichert, fragte sich, ob diese rosa Blütenblätter tatsächlich Malven waren, oder ob er sich geirrt hatte.
Binnesman nickte bloß freundlich und lächelte, dann kniete er neben Gaborn nieder und half ihm beim Graben.
»Die Wurzel der Malve ist für Verbrennungen am besten, wenn sie noch frisch ist«, erklärte er, »auch wenn Händler sie getrocknet anbieten. Man braucht den kühlenden Saft, nicht irgendeinen getrockneten Zweig. Aber auch eine getrocknete Malvenwurzel kann noch etwas Linderung verschaffen, wenn man sie zuvor in Wasser einweicht.«
Gaborn hielt im Graben inne, doch Binnesman drängte ihn, weiterzumachen. »Achtet auf die Spitzen der Wurzeln, die dicksten Stellen. Es ist gut, daß Ihr dies tut und lernt, welche Teile man benutzt.«
Er riß an der Malve, brach dann die violett-braune Wurzel ab, damit Gaborn sie betrachten konnte. Der Saft sickerte auf Binnesmans Finger, und der alte Zauberer tupfte Gaborn die kühlende Flüssigkeit auf die Stirn.
»Seht Ihr?«
»Ja«, antwortete Gaborn.
Zwischen ihnen machte sich ein verlegenes Schweigen bereit, und der Zauberer blickte Gaborn fest in die Augen. Gaborn sah grüne Flecken auf der Haut des alten Mannes, sein Gewand aber hatte ein flammendes Rot angenommen, die Farbe von Ahornblättern im Herbst.
»Ihr denkt, ich verfüge über irgendwelche großen Kräfte«, sagte Binnesman, »dabei ist es nur die Kraft, die aus dem Dienst an der Erde erwächst.«
»Nein, Eure Kräuter sind weit stärker als alle, die ich in Mystarria kennengelernt habe«, erwiderte Gaborn.
»Wollt Ihr das Geheimnis wissen?« fragte der Zauberer.
Gaborn nickte stumm. Er wagte kaum zu glauben, daß der Zauberer es ihm verraten würde.
»Ihr müßt die Samen selbst einpflanzen, mein König«, sagte Binnesman, »in einen von Euren eigenen Händen gedüngten und umgegrabenen Boden. Wässert sie mit Eurem Schweiß.
Werdet ihr Diener – erfüllt ihnen jeden Wunsch –, und sie werden Eure Dienste voll und ganz erwidern.
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