Der Kreis aus Stein
liegt nicht an mir zu sagen, ob Ihr gegen ihn kämpfen sollt. Eure Aufgabe wird es sein, die Samen der Menschheit zu sammeln. Ihr müßt entscheiden, welche gerettet und welche fortgeworfen werden sollen.
Ihr habt mit Eurer Arbeit bereits begonnen.« Er deutete mit einer flüchtigen Handbewegung auf das Gutshaus, wo Borenson und Myrrima im Speisesaal das Essen vorbereiteten.
Gaborn schauderte beim Gedanken an seine Aufgabe, irgendwie den Wert der Menschen abschätzen zu sollen, einige retten, andere aufgeben zu sollen. Er würde dieses Werk mit seiner ganzen Seele, seinem ganzen Verstand angehen müssen. Doch selbst dann hatte er keine Garantie auf den Erfolg. »Was ist mit Iome?«
»Eine gute Frau, glaube ich«, sagte Binnesman. »Sie steht sehr mit den Kräften in Verbindung, spürt ihren leisesten Einfluß – besser als Ihr oder ich. Sie wäre eine wertvolle Hilfe.«
»Ich liebe sie«, sagte Gaborn.
»Was tut Ihr dann noch hier?« fragte Binnesman.
»Ich lasse ihr ein wenig Zeit, damit sie trauern kann. Ich fürchte, ihr Volk könnte sich erheben, wenn sie mich erwählt.
Die Menschen werden mich nicht wollen.«
»Ich würde mir über ihr Volk keine Gedanken machen, nur über sie. Glaubt Ihr, sie will, daß Ihr sie alleine laßt? Glaubt Ihr, sie liebt Euch nicht?«
»Sie liebt mich«, sagte Gaborn.
»Dann geht zu ihr, jetzt gleich. Wenn sie trauert, dann trauert mit ihr. Geteiltes Leid läßt unsere Wunden schneller heilen.«
»Ich… das wäre keine gute Idee. Nicht jetzt. Nicht so… kurz danach.«
»Ich habe vor nicht mal einer Stunde mit ihr gesprochen«, sagte Binnesman. »Sie fragte nach Euch. Sie will Euch in einer wichtigen Angelegenheit sprechen, heute abend – bald.«
Gaborn betrachtete das Gesicht des Zauberers. Er war verunsichert. Es schien verrückt, jetzt zu ihr zu gehen, wenn man bedachte, wie ihr Volk über ihn dachte. Aber wenn Iome nach ihm gefragt hatte, dann hatte sie vielleicht guten Grund dazu. Vielleicht gab es Verträge zu besprechen. Sie würde Geld benötigen, um ihre Burg instandzusetzen. Die Familie Sylvarresta brauchte möglicherweise Geld oder Soldaten…
Er würde ihr natürlich geben, was immer sie verlangte.
»Also gut«, sagte Gaborn. »Ich werde zu ihr gehen.«
»Bei Sonnenuntergang«, sagte Binnesman. »Laßt sie heute abend nicht allein.«
Binnesmans Worte machten ihm Mut. Was nützte es, einen Zauberer als Berater zu haben, überlegte er, wenn man seine Weisheit in den Wind schlug?
KAPITEL 38
Frieden
Gaborn verließ das Gut erst bei Sonnenuntergang. Er nahm sich Zeit, ein wenig Wasser in der Küche warm zu machen, zu baden und sein Haar mit Lavendel einzureiben, seine Rüstung mit den weichen Blättern von Lammohr abzureiben, damit er einen guten Eindruck machte.
Gegen Abend hatten sich die Wolken ganz verzogen, und wärmere Luft erfüllte jetzt die Nacht, fast wie an einem ganz gewöhnlichen Spätsommernachmittag. Der Duft von Gras und Eiche hing schwer in der Luft.
Borenson und Myrrima blieben auf dem Gut zurück. Nur der Zauberer Binnesman und Gaborns Days ritten mit nach Longmot. Im Zwielicht dort waren Tausende von Menschen damit beschäftigt, Vorräte aus der Burg zu schaffen und die Toten zu beerdigen. Von weiter nördlich kamen weitere Krieger – achttausend Ritter und Bewaffnete von Burg Derry, angeführt von Herzog Mardon, trafen auf Geheiß von Groverman soeben ein.
Gaborn erreichte das Lager und wurde von einem recht freundlich wirkenden Soldaten zu Iome geführt.
Hier in Heredon verlangte es der Brauch, daß die Toten am Tage ihres Todes vor Sonnenuntergang begraben wurden.
Aber es drängten so viele Lords und Ritter von den Bergen um Longmot herein, die zuvor ihre Zelte aufschlagen wollten, daß König Sylvarresta nicht begraben werden konnte. Auch König Orden war noch nicht beerdigt worden. Ob dies aus Gründen der Ehre geschah, damit den Königen zusammen die letzte Ehre erwiesen werden konnte, oder weil die Menschen keinen fremden König in ihrer Erde beerdigen wollten, wußte Gaborn nicht.
Zu viele Menschen wollten die Leichname sehen, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen.
Gaborn fand Iome noch immer in Trauer um ihren Vater vor.
Die Toten waren gewaschen und auf edlen Tüchern über Lagern aus Pflastersteinen aufgebahrt worden. Graf Dreis lag in der Nähe ihrer Füße auf einem Ehrenplatz.
Bei ihrem Anblick rissen die Wunden in Gaborns Herz von neuem auf. Er ging zu Iome, setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. Sie
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