Der Kreis aus Stein
ernährten.
Einige bewohnten Höhlen hier oben, andere lebten in den Hohlräumen der Rieseneichen, deshalb konnte Gaborn zwischen den gewaltigen Wurzeln und Stämmen die Lichter ihrer Lampen sehen. Stadtferrin zündeten selten Feuer an, denn das lockte Menschen an, die die Ferrin dann aus ihrem Bau ausgruben. Irgendwie hatte die Gegenwart dieser Wesen etwas Tröstliches.
Er lauschte angestrengt auf Zeichen dafür, daß sie verfolgt wurden, doch alles, was er hörte, war der Fluß rechts von ihm, der sich die Schlucht hinunterstürzte.
Der Pfad führte weiter bergab.
Die Bäume wurden älter und noch gewaltiger. Unter ihnen gediehen nur wenige Pflanzen – weder Stechginster noch rankender Kletterahorn. Statt dessen war der weiche Boden mit Moos bedeckt und von Fußspuren unberührt.
Doch dann, während sie so dahinritten, stieß Iome plötzlich einen Ruf aus und zeigte tiefer in den Wald hinein. Ganz hinten im Schatten hockte eine graue Gestalt – ein untersetzter, bartloser Mann, der sie aus ungeheuer großen Augen musterte.
Gaborn rief dem alten Knaben etwas zu, der aber löste sich in nichts auf wie Nebel in der Sonne.
»Ein Wicht!« rief Iome. »Der Geist eines Duskiners.« Einen Duskiner hatte Gaborn noch nie gesehen. Kein menschliches Wesen hatte je einen zu Gesicht bekommen. Das hier sah jedoch ganz und gar nicht aus wie der Geist eines Mannes – es war zu gedrungen, zu rundlich.
»Wenn es der Geist eines Duskiners ist, dann ist alles in Ordnung«, sagte Gaborn, der versuchte, eine gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Sie haben unseren Vorfahren gedient.«
Allerdings war er keinen Augenblick davon überzeugt, daß alles in Ordnung war. Er spornte sein Pferd an, noch ein wenig schneller zu laufen.
»Wartet!« rief Iome. »Wir können nicht weiter geradeaus. Ich habe schon von diesem Ort gehört. Es gibt eine alte Duskinerstraße, die hinunter zu den Sieben Aufrechten Steinen führt.«
Diese Mitteilung ließ Gaborn zusammenzucken.
Die Sieben Aufrechten Steine standen im Herzen des Dunnwalds und bildeten das Zentrum seiner Macht.
Ich sollte fliehen, wurde ihm jetzt klar. Und doch wollte er zu diesen Steinen. Die Bäume hatten ihn gerufen.
Er lauschte einen Augenblick nach den Verfolgern. In der Ferne hörte er, wie die Bäume sich im Wind wiegten, etwas sagten… er konnte es nicht genau verstehen.
»Es ist nicht mehr weit«, ermunterte Gaborn Iome und befeuchtete sich die Lippen. Sein Herz schlug wie ein Hammer. Er wußte, das stimmte. Was immer vor ihnen lag, es war nicht weit entfernt.
Er spornte sein Pferd zum Trab an, wollte das letzte, schwindende Tageslicht ausnutzen und so schnell wie möglich vorankommen.
Also ritt er voraus und hörte weit entfernt ein Schnarren – dem Rasseln einer Klapperschlange ähnlich.
Zu Tode erschrocken erstarrte er im Sattel. Er hatte das Geräusch noch nie zuvor gehört, erkannte es aber aus den Erzählungen anderer wieder. Es war das Schnarren eines Greifers, aus dessen Lungen Luft entwich.
»Halt!« brüllte er und wollte sein Pferd herumreißen und fliehen.
Doch fast unmittelbar darauf hörte er vorne einen Ruf.
Das war Binnesman. »Bleibt stehen! Bleibt stehen, sage ich!«
Er klang, als hätte er entsetzliche Angst.
»Beeilt Euch!« rief Gaborn, der jetzt ritt wie der Sturm, während die Hufe seines Pferdes unter den schwarzen, überhängenden Ästen über die moosbewachsene Straße trommelten.
Er zog seinen Kriegshammer und trieb die Fersen in die Rippen seines geschwächten Tieres.
Vor sechzehnhundert Jahren hatte Heredon Sylvarresta im Dunnwald eine Greifermagierin erschlagen. Die Tat war Legende. Er hatte ihr eine Lanze durch die Gaumenplatte gebohrt.
Gaborn besaß keine Lanze, wußte nicht mal, ob ein Mann einen Greifer überhaupt mit einem Kriegshammer töten konnte.
Iome schrie: »Wartet! Haltet an!«
Die Straße führte weiter in die endlose Senke hinab, so daß Gaborn, als er nach oben hinter das dunkle Geäst blicken wollte, zu allen Seiten und auch oben den Eindruck endlosen Landes hatte.
›Die Erde wird dich verbergen…‹ Die Worte gingen ihm durch den Kopf. Iome und ihr Vater folgten Gaborn. Langsam bekam der Prinz das Gefühl, jeden Augenblick in den Bauch der Erde geschluckt zu werden.
Er galoppierte unter den riesigen Eichen hindurch, die sich weiter über ihm ausbreiteten, als er je für möglich gehalten hätte, und fragte sich, ob sie hier seit der Geburt der Welt gewachsen waren – dann plötzlich sah er das Ende
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