Der Kreis aus Stein
fest.
Gaborn wollte nicht gleich mit dem herausplatzen, was ihn am dringendsten beschäftigte. Also sagte er beiläufig: »Euer Gewand hat sich rot verfärbt.«
»Wie ich es Euch vorhergesagt habe«, antwortete Binnesman.
»Im Frühjahr seiner Jugend muß ein Erdwächter nach Kräften wachsen. Im grünen Sommer seines Lebens reift er heran und wird erwachsen. Ich jedoch befinde mich im Herbst meines Lebens und muß jetzt meine Ernte einbringen.«
Gaborn fragte: »Und was passiert im Winter?«
Binnesman lächelte ihn verständnisvoll an. »Darüber wollen wir jetzt nicht sprechen.«
Der Prinz entschied sich für eine Frage, die ihn sehr viel mehr interessierte. »Warum konnte Raj Ahten mich nicht sehen? Er dachte, ich sei mit einem Zauber belegt.«
Binnesman lachte stillvergnügt in sich hinein. »Als der Erdgeist Euch in meinem Garten eine Rune auf die Stirn zeichnete, war dies ein Symbol der Macht, wie ich es mir in meiner Schwäche nicht zutrauen würde. Ihr seid jetzt unsichtbar, Gaborn – zumindest für Eure Feinde. Die, die dem Feuer dienen, können Euch nicht sehen. Sie sehen statt dessen Eure Liebe für das Land. Je näher sie Euch kommen, desto stärker beeinflußt sie der Zauber. Mich wundert, daß Raj Ahten überhaupt wußte, daß Ihr Euch auf der Lichtung befandet. Vielleicht hat ihm das Feuer diese Macht verliehen.
Das war mir zu dem Zeitpunkt nicht klar, aber jetzt.«
Gaborn dachte nach.
»Ihr dürft Euch nicht zu sehr auf diese Gabe der Unsichtbarkeit verlassen«, warnte Binnesman. »Viele üble Menschen wollen Euch Böses, Menschen, die nicht dem Feuer dienen. Und Flammenweber mit großer Macht könnten Eure Maske durchschauen, wenn sie Euch nahe kommen.«
Sofort mußte Gaborn an die Flammenweberin auf Burg Sylvarresta denken, die Art, wie sie ihn angesehen und wiedererkannt hatte, als sei er ein geschworener Feind.
»Verstehe…« sagte er leise. »Ich weiß jetzt, warum Raj Ahten mich nicht sehen konnte. Aber warum konnte ich ihn nicht sehen?«
»Was?« Binnesmans Augenbrauen schossen überrascht in die Höhe.
»Ich hatte sein Gesicht schon einmal gesehen, vor der Burg.
Ich kenne seinen Helm, seine Rüstung. Doch heute abend war sein Gesicht vor mir verborgen, so wie meins vor ihm. Ich habe ihn angesehen und… ganze Menschenmassen gesehen, die sich voller Verehrung vor ihm verneigten. Menschen, die in Flammen standen.«
Binnesman lachte laut und heftig. »Vielleicht habt Ihr zu genau hingesehen. Sagt mir, was habt Ihr bei dieser Vision gedacht?«
»Ich wollte ihn einfach nur so sehen wie er war, unter all diesen Gaben der Anmut.«
»Nun, dann will ich Euch eine Geschichte erzählen«, sagte Binnesman. »Vor vielen Jahren war mein Herr ein Erdwächter, der den Tieren des Waldes diente – den Hirschen, den Vögeln und alle anderen. Sie kamen zu ihm, und er fütterte sie oder heilte ihre Wunden, je nachdem. Als ich ihn fragte, woher er um ihre Bedürfnisse wisse, schien er überrascht. ›Man kann es ihnen an den Augen ablesen‹, sagte er. Als wäre das Antwort genug. Daraufhin schickte er mich fort, entließ mich aus seinen Diensten, denn er hielt mich für ungeeignet als Erdwächter.
Seht Ihr, Gaborn, er hatte die Begabung des Erdblicks, die Fähigkeit, in die Herzen der Geschöpfe zu blicken und intuitiv zu erkennen, was sie wollen oder brauchen oder was ihnen gefällt.
Diese Begabung habe ich nie besessen. Ich kann Euch nicht sagen, wie man sie benutzt, wie sie funktioniert. Glaubt mir, ich wünschte, ich hätte Eure Begabung.«
»Aber ich besitze keine solche Begabung…«, wandte Gaborn ein. »Ich kann weder in Euer noch in Iomes Herz blicken.«
»Aber Ihr wart an einem Ort von großer Erdkraft«, erläuterte Binnesman. »Ihr besitzt diese Begabung, auch wenn Ihr nicht wißt, wie man sie benutzt. Werdet Euch darüber in Euren Gedanken klar. Praktiziert sie. Mit der Zeit wird sie sich bei Euch einstellen.«
Gaborn fand dies erstaunlich. Zauberer sprachen oft davon, sie müßten ›sich über etwas klar werden‹.
»Im Augenblick obliegt Euch jedoch eine wichtigere Pflicht«, fuhr Binnesman fort. »So wie Erden Geboren die ihm ergebenen Männer ausgewählt hat, damit sie an seiner Seite kämpfen, so müßt auch Ihr Eure Anhänger suchen. Das ist eine Verantwortung, die einem angst machen kann. Die, die Ihr erwählt, werden untrennbar mit Euch verbunden sein.«
»Ich weiß«, sagte Gaborn. Er kannte die Erzählungen, wie Erden Geboren jene auswählte, die an seiner Seite
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