Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
farbenblind, dann wieder unfruchtbar. Sie muss in dieser Zeit sehr gelitten haben.«
David schüttelte ungläubig den Kopf, kam dann aber wieder auf sein eigentliches Anliegen zurück. »Gibt es irgendeine Möglichkeit Mitsuru Toyama wegen seiner Untaten ins Gefängnis zu werfen?« Möglichst eines, zu dem es nur einen Schlüssel gibt, der sehr klein, sehr leicht zu verlieren ist, fügte er in Gedanken hinzu.
Hito dachte nur einen Augenblick darüber nach. »Selbst mein Vater hätte nicht die Macht diesen Mann anzugreifen. Toyama ist gefährlicher als jeder Mensch, den ich kenne. Wenn er wollte, könnte er selbst den Tenno umbringen lassen.«
David nickte traurig. Im Grunde hatte er keine andere Antwort erwartet. »Kennst du den Kreis der Dämmerung?«, fragte er unverwandt.
»Der Name sagt mir gar nichts. Was soll das sein?«
»Eine verschworene Bruderschaft, ähnlich wie Toyamas Amur-Gesellschaft, aber kleiner, viel geheimer und sehr viel gefährlicher.«
Diesmal ließ sich Hito mehr Zeit zum Nachdenken, doch am Ende schüttelte er nur wieder den Kopf »Tut mir Leid, David-kun. Glaubst du, Toyama hat irgendetwas mit diesem Geheimbund zu tun?«
»Ich denke sogar, dass er darin eine führende Position bekleidet, aber ich kann es nicht beweisen.«
»Möglicherweise könnte ich ein paar von meinen Kontakten spielen lassen«, erbot sich Hito, ganz wie es David gehofft hatte.
»Du müsstest aber sehr diskret vorgehen. Ich möchte nicht, dass dir irgendetwas zustößt.«
Hitos Augenbrauen zogen sich fragend zusammen.
»Ich habe Grund zu der Annahme, dass die Ermordung meiner Eltern durch den Kreis der Dämmerung veranlasst wurde.«
Jetzt wurden die Augen des Kronprinzen groß. »Deine Eltern sind…?«
David nickte bedeutungsschwer.
»Ich hatte ja keine Ahnung…! Es tut mir sehr Leid für dich, David-kun.«
Dieses Bekenntnis aus Hitos Mund kam einem Gefühlsausbruch gleich. David wusste das zu würdigen und zwang sich zu einem Lächeln. »Vielen Dank, Hito. Die Wunde ist inzwischen vernarbt. Nur ab und zu schmerzt sie noch.«
»Ich glaube, ich sollte mein Gefolge nicht länger warten lassen«, sagte Hito.
David musste schmunzeln. »Wieso? Sie haben sich doch nicht mehr gemeldet.« Aber dann nickte er verständnisvoll. »Dieses Treffen hat mir sehr viel bedeutet, Hito. Vielen Dank, dass du mir deine Zeit geopfert hast.«
Hito schenkte ihm zum letzten Mal sein Lächeln, das in natura sehr viel strahlender wirkte als die zurzeit millionenfach in Druckerschwärze gebannten Kopien in britischen Zeitungen. »Es war auch für mich schön, dich wieder zu sehen, David-kun. Ich werde versuchen etwas über Toyamas Verbindung zu einem Kreis der Dämmerung herauszufinden. Wie kann ich dich erreichen?«
David sagte es ihm. Er hatte schon einen Zettel vorbereitet, auf dem alles stand, auch die Adresse von Sir William, der für die beiden als »Briefkasten« herhalten sollte. Anschließend – das lästige Klopfen an der Tür setzte gerade wieder ein – verabschiedeten sie sich.
»Werden wir uns wieder sehen, David-kun?«
»Das hoffe ich doch sehr, Hoheit. Vielleicht seid Ihr dann schon der neue Mikado von Japan.«
Der Gedanke schien Hito nicht sonderlich zu beflügeln. »Das ist nicht wichtig, mein Freund. Hauptsache, es wird für uns beide und die Menschen in unseren Ländern eine glücklichere Zeit.«
Der japanische Kronprinz verließ die Bibliothek, wie er sie betreten hatte: allein.
Als er die Tür nach draußen öffnete, erhaschte David einen Blick auf den Grafen Yoshinori, der verzweifelt seine Taschenuhr schüttelte. »Was machen Sie da, Graf?«, fragte Hirohito verwundert.
»Irgendetwas stimmt mit meiner Uhr nicht, Hoheit. Sie tickt zwar, aber nur ganz langsam. Fast so, als wolle sie jeden Augenblick stehen bleiben.«
Als Hirohito am 19. Juli in Begleitung eines japanischen Geschwaders die Bucht von Neapel in Richtung Nippon verließ, endete ein dicht gedrängtes Besuchsprogramm. Späteren Generationen von Japanern sollte es vorbehalten bleiben, daraus jenes Schnellverfahren zu entwickeln, durch das eine umfassende Erkundung Europas in nur einer Woche oder noch kürzerer Zeit möglich wurde.
Im britischen Blätterwald gab es übrigens nicht das geringste Rascheln, was das geheime Treffen des Kronprinzen mit einem Oxfordstudenten betraf Die wenigen Personen, die davon wussten, respektierten den Wunsch des hohen Gastes und bewahrten Diskretion. Alsbald begann für David wieder ein ruhigerer
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