Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
herum?
Für David waren die Leute im Abteil eher wie Fische im Aquarium, die ihre Mäuler auf- und zuklappten und dabei ein empörtes Gesicht machten. Ein Seedrache von Frau hatte endlich mitbekommen, dass die dramatische Pantomime des Mannes vor dem Fenster dem Mädchen galt, das da so auffällig unbeteiligt inmitten der anderen hockte. Zweifellos war dieses junge Ding der Schlüssel zu dem ganzen Theater. Als sie – David konnte das nur vermuten – eine dementsprechende Bemerkung machte, begannen auch die anderen Bewohner des Aquariums auf sie einzureden.
Endlich erhob sich Rebekka. Ein älterer Mann, dem Gesicht nach ein Wolfsbarsch, öffnete ihr das Fenster, damit sie eine Frage auf ihn hinabwerfen konnte.
»Was willst du?«
Die Fische im Becken blickten abwechselnd die Seejungfrau, dann wieder den jungen Mann an.
»Dich zurückhalten, Bekka.«
»Das haben wir doch schon alles besprochen, David. Ich möchte, dass du dich ganz für mich entscheidest oder gar nicht.«
Vielseitiges Nicken im Hintergrund, vor allem von den Frauenfischen.
»Aber das will ich ja, Bekka. Ich liebe dich!«
Ergriffenes Seufzen.
»Ich liebe dich auch. Aber das reicht nicht, David.«
»Oh!« Diesmal von allen Parteien.
»Ich weiß. Deshalb muss ich dir alles sagen, Liebling, die ganze Wahrheit, und wenn du mich dann immer noch willst…«
Offene Mäuler. Gespanntes Schweigen.
»Was ist dann, David?«
»Ja, was ist dann?«, wiederholte der Hintergrundchor.
Eine Trillerpfeife eröffnete den finalen Akt. Den ganzen Zug entlang wurden Handküsse in die Waggons und wieder hinaus geworfen. Zischend stieß die Lokomotive eine Dampfsäule aus.
»Willst du meine Frau werden, Bekka?«
Plötzlich schien die Welt innezuhalten. Kein Geräusch drang mehr zu dem Paar und seiner Zuhörerschaft vor. Rebekkas Augen füllten sich schnell mit Tränen. Ihr Mund war halb geöffnet. Ihre Brust hob und senkte sich in schnellem Rhythmus.
David sah für eine halbe Sekunde zur Dampflok nach vorne, dann wieder zu Rebekka. Warum überlegt sie noch? Der Zug ruckte an. Ich brauche noch einen winzigen Moment. Er nahm alle seine Kraft zusammen. Die Lok setzte sich in Bewegung. Aber sie tat es noch langsamer als gewöhnlich. Selbst der Dampf, der mit seltsam tiefem Zischen aus den Ventilen strömte, verhielt sich wie dicker zäher Brei.
»Willst du mich heiraten, damit wir zusammen bleiben, bis der Tod uns scheidet?«, rief David zu der sprachlosen Rebekka hinauf.
»Ja«, hauchte sie. Erst ganz leise. Aber dann wiederholte sie es in einem Tonfall unendlichen Glücks. »Ja, David! Ich will. Ich möchte deine Frau werden. Was immer es gibt, das du mir sagen willst. Ich werde nicht Nein sagen.«
Tosender Applaus brandete hinter Rebekka auf. Beifallsrufe. Selbst die Stockfische waren weich geworden.
»Dann komm schnell heraus!«, rief David. »Ich kann den Zug nicht mehr lange aufhalten.«
Rebekka verstand zwar nicht genau, was er damit meinte, aber sie reagierte mustergültig. Mit flinken Bewegungen riss sie die Jacke ihres Kostüms von einem Haken, setzte sich ihr Käppi auf und dirigierte zwei hilfreiche Taschenkrebse zu den korrekten Koffern. Während der Zug wie eine benebelte Raupe über die Gleise kroch, entwand David die Koffer dem Zangengriff der beiden Helfer. Er warf ihnen ein Danke zu und lief schnell zur Waggontür. Ehe der Schaffner auf dem Bahnsteig eingreifen konnte, hatte er die Tür des fahrenden Zuges aufgerissen und das Wesen aufgefangen, das ihm, leicht wie eine Bachelfe, in die Arme sprang.
In diesem Moment verlor David alle Konzentration. Der Zug schien wie von einem Gummiband befreit davonzuschießen. David und Rebekka vernahmen weder sein letztes Pfeifen noch die Beschwerden des Bahnhofsaufsehers. Alles, was sie hörten, war der Herzschlag des anderen, alles, was sie sahen, sein glückliches Gesicht.
Eine schottische Hochzeit
Das Gespräch dauerte lang. Noch nie hatte David so viel und so offen über sich selbst gesprochen wie an diesem Tag. Rebekka hörte aufmerksam zu. Sie hatte sich bei ihm eingehakt und drückte manchmal seinen Arm, als fürchte sie ihn jeden Moment zu verlieren. Ihr Gesicht war ernst, aber auf eine stille Art auch zufrieden. Die Koffer hatten sie bei der Gepäckaufbewahrung gelassen. Sie wandelten durch Straßen und Parks und verschmolzen dabei durch das, was sie einander anvertrauten.
Natürlich war es für Rebekka nicht ganz einfach zu verstehen – geschweige denn zu glauben –, was
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