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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ihr Bräutigam da alles von sich gab. Doch David konnte einem Menschen wie kein anderer die Augen öffnen. Wenn er die Wahrheit beschrieb, dann vermochte man sich ihr nicht zu verschließen. Um jegliche Zweifel auszuräumen, überraschte er Rebekka mit einigen Kostproben seiner besonderen Fähigkeiten.
    Als Big Ben um elf die Stunden zählte, sorgte er nach dem vierten Glockenschlag für eine außergewöhnlich lange Verzögerung. Die Passanten rissen irritiert ihre Uhren vors Gesicht. Als das Schlagwerk dann zögernd seinen Dienst wieder aufnahm, hatten viele Leute vergessen, was sie gerade tun wollten, und liefen aufgeregt durcheinander, um irgendjemanden zu finden, dem sie brühwarm berichten konnten, dass Big Ben neuerdings stotterte.
    Rebekka konnte kaum fassen, was sie da erlebte. »Hast wirklich du den Glockenschlag angehalten?«, fragte sie ungläubig.
    David grinste. »Nur stark verlangsamt. Wirklich aufhalten kann ich den Lauf der Dinge nicht, sobald sie einmal begonnen haben.«
    »Was soll das nun wieder heißen?«
    »Ich kann Dinge voraussehen, die in wenigen Augenblicken geschehen werden. Oftmals – leider nicht immer – konnte ich dadurch auch schon ein Unheil verhindern.«
    »Ach komm! Jetzt willst du mich auf den Arm nehmen.«
    David drückte Rebekkas Hand, die er in der seinen hielt, etwas fester. »Warte!«
    Sie blieben genau an einer Hausecke stehen. »Was ist?«
    Er schloss die Augen, konzentrierte sich und sagte mit einem Mal: »Jetzt wird gleich ein gelber Bobby um die Ecke biegen.«
    »David, du spinnst!«
    Im nächsten Moment schlenderte ein Polizist um die Ecke. Seine sonst eher triste dunkle Uniform leuchtete in fröhlichem Kanariengelb. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, weshalb ihn alle Passanten so überrascht ansahen, empört mit den Köpfen schüttelten oder hilflos zu kichern begannen.
    »David, mach ihn sofort wieder normal!«, verlangte Rebekka streng.
    Er zuckte mit den Schultern. »Von mir aus.«
    Die helle Uniform sah mit einem Mal verwaschen aus, dann himmelblau und wurde schließlich immer dunkler, bis sie wieder ihren amtlichen Einheitston angenommen hatte.
    »Vorher hat er mir besser gefallen«, murrte David.
    Nun fing Rebekka an zu lachen. »Du bist unmöglich!«
    »Nicht wahr? Das sage ich mir auch immer. Aber irgendwie kann ich alle diese merkwürdigen Dinge trotzdem tun.«
    Rebekka wurde wieder ernst. »Obwohl ich weiß, dass du die Wahrheit sprichst, kann ich deine ungewöhnliche Geschichte trotzdem kaum glauben.«
    Während sie auf den Wellington Arch zuschlenderten, stellte David die alles entscheidende Frage: »Willst du mich jetzt immer noch heiraten, Rebekka? Ich meine, du wirst möglicherweise nie ein Heim haben wie andere Frauen. Vielleicht müssen wir vor dem Schemen in fremde Länder fliehen und immer wieder neue Namen annehmen. Glaubst du wirklich, ein Leben mit mir ist das Richtige für dich?«
    Rebekka blieb wieder stehen und wandte sich David zu. Sie hielt sich an seinen Unterarmen fest, zog sich auf die Zehenspitzen hoch und küsste ihn auf die Lippen. »Ich kann mir kein Leben mit jemand anderem vorstellen, David. Es wäre schön, wenn wir Kinder haben könnten, aber selbst wenn das nicht ginge, würde ich mich nicht anders entscheiden wollen.«
    In David explodierte ein Feuerwerk. Er schlang seine Arme um Rebekkas zarten Körper, drückte sie an sich und begann haltlos zu weinen.
    »Was ist mit dir?«, fragte sie besorgt. Einige Fußgänger sahen sich neugierig nach ihnen um.
    »Ich bin so glücklich!«, schluchzte er in ihr linkes Ohr.
    »Aber, David, du zitterst ja!«
    »Ich dachte, ich würde dich verlieren. Als ich heute früh auf dem Revier festsaß, hatte ich schon beinahe jede Hoffnung verloren. Und jetzt…« Wieder erbebte er am ganzen Leib. »Jetzt bist du hier. Bei mir. Und ich werde dich nie wieder loslassen.«
    »Das könnte aber schwierig werden, David.«
    »Wieso?«
    »Nun, es gibt gewisse Dinge, die eine Frau…«
     
     
    Die Londoner Herren- und Damenausstatter waren für ihre gediegene Eleganz bekannt. Und für ihre Arroganz. Die Unverfrorenheit, mit der an diesem Montagnachmittag ein junges Paar seine saloppe Straßenkleidung in ihre Geschäftsräume trug, verursachte den Konfektionären daher zunächst Schwindelanfälle. In Ermangelung von Riechsalz hielt David ihnen einige Pfundnoten unter die Nase, was wahre Wunder wirkte. Eine Konfektioneuse, die zuvor ziemlich verschnupft reagiert hatte, atmete sogleich befreit auf

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