Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
aufrichtig. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Aber in Schottland regnet es doch ständig. Was halten Sie davon, wenn Sie Ihre Flitterwochen in den Vereinigten Staaten von Amerika verbringen?«
»Wie bitte?«
»Ich würde ja selbst gerne nach Europa kommen, aber das wird wohl noch bis nächstes Jahr warten müssen. Also lade ich Sie ein. Kommen Sie mit Ihrer Braut zu uns nach New York in die 39. Straße und schauen Sie sich den Laden an. Wenn er Ihnen gefällt, dann können Sie nach Ihrem Honeymoon gleich hier bleiben.«
David ließ die zersplitterten Reste des Bleistiftes auf den Schreibtisch rieseln und atmete tief durch. In den USA könnte er ein ganz neues Leben beginnen. Unter einem neuen Namen. Er würde Rebekka jene Sicherheit geben können, die er sich so sehr für sie wünschte. Das Angebot war verlockend. Aber sollte er sie nicht zumindest vorher fragen?
»Mr Hadden?«
»Ja?«
»Geben Sie mir bitte eine Woche Bedenkzeit.«
Aus dem Hörer drang einige Sekunden lang nur ein leises Rauschen. David biss sich auf die Unterlippe. Seine Bitte konnte ihm schnell als Unentschlossenheit ausgelegt werden. Hoffentlich kam jetzt aus der Muschel nicht gleich ein schroffes Nein. David lauschte. Er hörte nur ein Geräusch, das ihn an die Brandung des Atlantischen Ozeans über dem Telefonkabel denken ließ.
»Also gut«, kam endlich die Antwort aus der Neuen Welt. »Sie müssen natürlich Ihre Braut fragen. Das sehe ich ein.« Hadden gab David zwei Telefonnummern, unter denen er so gut wie immer zu erreichen war, verabschiedete sich knapp und legte auf.
Als Rebekka von dem Angebot hörte, war sie sich unschlüssig. »Können wir das nach unserer Hochzeit entscheiden?«, fragte sie David.
Er nickte. Ein solcher Entschluss sollte wirklich gut überlegt sein.
Schon am übernächsten Tag wurde das Paar aufs Neue in Erstaunen versetzt. Gerade noch rechtzeitig vor ihrer Abreise war ein Telegramm aus Japan eingetroffen, unterzeichnet vom kaiserlichen Biologielehrer. Aber David wusste, dass die Worte von jemand anderem stammten!
lieber david-chan,
liebe rebekka-chan – stopp –
herzlichen glueckwunsch zu eurem entschluss das leben miteinander zu teilen – stopp –
ich habe mir eine kleine ueberraschung fuer euch ausgedacht – stopp –
wenn ihr folgendes raetsel loesen koennt, wisst ihr, was es ist: ich kann euch keine goldenen baelle schenken, sondern nur einen bunten ball – stopp –
reist bitte nach eurer trauung gleich nach blair atholl weiter und meldet euch auf dem schloss des herzogs – stopp –
alles weitere wird sich dann schon ergeben – stopp –
euch beiden wuensche ich glueck, gesundheit, kinder und frieden
dr. hirotaro hattori
»Und du bist sicher, dass es von dem Prinzregenten stammt?«, fragte Rebekka ungläubig, nachdem sie das Telegramm gelesen hatte.
David schmunzelte still in sich hinein. »Ganz sicher.
Niemand sonst würde ausgerechnet bedauern, mir keine goldenen Bälle schenken zu können. Das ist ein versteckter Hinweis. Als ich fünf Jahre alt war, habe ich einmal für ihn einen blauen Ball umgefärbt. Soweit ich weiß, besitzt er das Spielzeug heute noch.«
»Aber warum will er uns einen bunten Ball schenken? Hat er denn vergessen, dass ihr beide keine Kinder mehr seid?«
David streichelte Rebekkas Wange. »Ich habe da so eine Ahnung, aber es wäre ja keine Überraschung mehr, wenn ich dir heute schon verraten würde, worum es geht.«
Rebekkas jettschwarze Augen funkelten erwartungsvoll. »Ich wollte schon immer mal einen waschechten Herzog kennen lernen. Zum Glück geht die Reise übermorgen endlich los. Ich bin schon ganz aufgeregt!«
Das Ross schnaufte. Sein Atem ging pfeifend und stoßweise. Dabei stiegen weiße Wölkchen in den Himmel auf. Ab und zu quietschte es auch beängstigend laut und schüttelte sich dabei. Es war aus Stahl und sein Gehabe beunruhigte nur wenige der Bahnreisenden.
Obwohl David und Rebekka ihrem Ziel entgegenfieberten, genossen sie doch die Reise. Grüne Wiesen, eingerahmt von Mauern und Hecken, machten die wogende Landschaft zu einem gigantischen Fischernetz, in dem sich hier und da immer wieder ganze Schwärme von Schafen verfingen. Häufig konnte man rechter Hand auch auf die echte See hinausblicken, weil der Schienenweg häufig an der Küste entlangführte.
Die erste Etappe ihrer Reise endete in Edinburgh. Von der Waverley Station ließen sie sich mit einer Benzindroschke ins Royal Terrace Hotel bringen, ein
Weitere Kostenlose Bücher