Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
nun?«, drängte sich der Herzog ungeduldig dazwischen. »Seid ihr beiden Turteltäubchen euch endlich einig?«
Rebekka legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und murmelte ganz langsam: »Rahel Murray.« Man hätte glauben können, der Name sei ein süßer Fruchtbonbon, den sie sich auf der Zunge zergehen ließ. Die beiden Männer sahen ihr dabei erwartungsvoll zu. Trotzdem waren sie überrascht, als Rebekka plötzlich wieder in des Herzogs gespanntes Gesicht blickte und verkündete: »Ich glaube, das passt uns. Dann sind wir also ab heute Mr Francis J. Murray und seine Gemahlin Rahel.«
»So schnell wird es nun auch wieder nicht gehen«, bremste John Stewart-Murray die temperamentvolle junge Ehefrau. »Wenn ich im Laufe des Vormittags meinen Anwalt informiere und ihn telegrafisch alles in die Wege leiten lasse, dann müssten die fertigen Papiere, sagen wir« – wieder kniff er das Auge zusammen – »am kommenden Montag zur Verfügung stehen. Das gibt dir, David, zugleich genügend Zeit, alles Notwendige zu veranlassen, um deine Zelte in London abzubrechen. Wenn wir das Ganze über einen Strohmann abwickeln, dürfte es für diesen Negromanus so gut wie unmöglich sein, deine Spur zurückzuverfolgen.«
»Darum würde ich schon allein aus Sorge um Ihre und Katherines Sicherheit bitten«, antwortete David. »Auf jeden Fall muss ich Ihnen für Ihre Hilfe danken, John. So furchtbar dieses Erlebnis heute Nacht auch war, können Rebekka und ich doch jetzt etwas hoffnungsvoller in die Zukunft blicken. Das haben wir ganz allein Ihnen zu verdanken. Ich weiß gar nicht…«
»Rahel!« Rebekkas Stimme ließ die beiden Männer aufhorchen.
David runzelte die Stirn. »Wie bitte, Schatz?«
»Es gibt keine Rebekka Newton mehr, Mr Francis J. Murray. Die Newtons sind am Morgen des 9. Juli 1924 im schottischen Hochland verschollen. Ihre Spur wird sich bei Blair Atholl verlieren und niemand wird je erfahren, wohin sie verschwunden sind.«
Der Herzog zimmerte an der neuen Legende von Francis und Rahel Murray wie an einem antiken Möbelstück, das er, nur so zum Spaß, restaurierte und polierte, bis es glänzte wie neu. Im Laufe des Vormittags setzte er seine Frau davon in Kenntnis, dass sie gerade einen Sohn bekommen hatte. Katherine zeigte sich davon einigermaßen überrascht. Aber nachdem John ihr in groben Zügen geschildert hatte, in welch übler Lage das jungvermählte Paar stecke (alle wirklich geheimen Details sparte er dabei wohlweislich aus), lächelte sie ergriffen und gratulierte ihrem Gemahl zu seiner außergewöhnlichen List.
Um der erweiterten Runde Rechnung zu tragen, hatte man die Krisensitzung derweil in den Speisesaal des ersten Stockes verlegt, einen Raum von zartem Grün mit einer Tafel für zwölf Personen. Wände und Decken waren hier mit Stuckornamenten geradezu überbordet. Vom marmornen Kaminsims blickte ein versteinerter Apollo auf die konspirative Gruppe. Der griechische Götterschönling stand für Recht und Ordnung – er würde bestimmt nichts verraten. Dennoch empfand es David als angenehm, dass hier großflächige Landschaftsgemälde die Wände zierten und nicht wie anderswo ein Haufen todernster Gesichter, die alle so aussahen, als wollten sie ja kein Wort verpassen.
John Stewart-Murray schien in seinem Leben nie etwas anderes getan zu haben, als fremde junge Männer zu adoptieren, ihre Vergangenheit auszulöschen und ihnen eine neue Zukunft auf den Leib zu schneidern. Er beschaffte für David und Rebekka nicht allein einen neuen Namen, sondern sorgte auch für die Ausstellung aller möglicher anderer Dokumente. Seine Geheimformel lautete: amtlich beglaubigte Abschrift. Natürlich hätte er auch »echte« Fälschungen anfertigen lassen können, aber so weit ging die Schlitzohrigkeit des Herzogs nun doch nicht. Keine Gewissensbisse plagten ihn jedoch, als er seine Beamten auf der Isle of Man telegrafisch anweisen ließ, verschiedene Zweitschriften von »verloren gegangenen Originalen« auszustellen. Dazu gehörten beispielsweise Geburts- und Heiratsurkunden sowie Schul- und Universitätszeugnisse. Als er sich sogar dazu hinreißen ließ, David einen Doktortitel anzubieten, lehnte dieser ab. Er wollte nicht mehr für sich und Rebekka bekommen, als ihnen rechtmäßig zustand.
Im grünen Speisesaal gingen die verschiedensten Leute ein und aus. Ein jeder bekam vom Herzog sehr exakte Anweisungen, gerade genug, um den Befehl zu befolgen, aber viel zu wenig, um auch nur den Schimmer
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