Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
Erste-Klasse-Speisesaal näselnd über die Qualität des Kaviars mokierten, dagegen nur Reklameschilder auf Beinen.
Wenn Rebekka ihrem Ehemann gelegentlich eine Ruhepause gönnte, widmete der sich hauptsächlich seiner Zukunftsplanung. So auch an jenem Sonntag südlich von Grönland, als er auf dem Sonnendeck in einem Liegestuhl saß und zwei munteren kleinen Herren fortgeschrittenen Alters dabei zusah, wie sie mithilfe von tennisschlägerartigen Werkzeugen Bälle ins Meer schossen. Der Sinn des Spieles mochte vielleicht ein anderer sein, aber trotzdem amüsierten sich die beiden Pensionäre köstlich.
Bald achtete David nicht mehr auf ihre vergeblichen Versuche, wenigstens einen kurzen Ballwechsel zu Stande zu bringen, und seine Gedanken schweiften ab. Der Ozeandampfer war für ihn wie eine schwimmende Festung, die selbst für Negromanus schwer einnehmbar sein dürfte. Daher konnte er hier auf See seine Sorge um Rebekka ein wenig in den Hintergrund drängen und sich mehr um strategische Überlegungen kümmern.
Der Rat des Herzogs von Atholl beschäftigte ihn besonders. Er hatte vorgeschlagen, den Drachen beim Schwanz zu packen, gewissermaßen durch die Hintertür in den Kreis der Dämmerung einzudringen, um ihn von innen zu sprengen. Je länger David über diese Möglichkeit nachdachte, desto besser gefiel sie ihm. Allerdings wurde ihm auch bald klar, welche Schwierigkeiten ihn dabei erwarten konnten.
Wie sollte er wissen, wer mit dem Kreis zusammenarbeitete? Nicht jeder Attentäter war per definitionem auch ein Handlanger Lord Belials. Wie auch immer, die Idee war reizvoll und wenn Briton Hadden ihm wirklich die Stelle gab, die er ihm in Aussicht gestellt hatte, dann würde er ausreichend Gelegenheit bekommen mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenzutreffen. Viele von ihnen würden an wichtigen Schlüsselstellen der Macht sitzen. Warum sollte sich unter ihnen nicht auch ein Adlatus des Schattenlords befinden?
Voll wärmender Zuversicht lehnte sich David in seinem Liegestuhl zurück und widmete sich wieder dem Studium der betagten Ballspieler. Gerade hatte einer der beiden einem anderen Passagier das Sodawasser aus der Hand geschossen.
Die meisten Schiffsreisenden waren aufgeregt, als an einem wolkenverhangenen Dienstag Ende Juli die Freiheitsstatue am Horizont auftauchte. Für viele sollte hier ein glücklicheres Leben beginnen. Während jedoch für David und Rebekka wie auch für die anderen Passagiere der ersten und zweiten Klasse die Einreise in die Neue Welt nur eine Formalität war, begannen für die Übrigen nun Stunden des Bangens. Die lebende Fracht aus den Zwischendecks wurde auf Ellis Island gelöscht, einer kleinen Insel im New Yorker Hafen. Dort stand auf einer Tafel am Kai: »Willkommen in den USA. Jetzt sind Sie in einem freien Land.« Ellis Island war das größte Einwanderungszentrum Amerikas.
In den letzten dreißig Jahren hatten sich mindestens zwölf Millionen Menschen durch dieses Nadelöhr gezwängt. Zwölf Millionen Schicksale. Für jeden fünften Ankömmling erwies sich die Pforte als zu eng, entweder weil er krank war oder weil er den Eindruck erweckte, der öffentlichen Hand nur zur Last zu fallen. Solche Menschen wurden auf Kosten der Reedereien wieder zu ihrem Ausgangshafen zurückbefördert, zurück in Armut und Elend. Für sie war der schriftliche Willkommensgruß auf Ellis Island blanker Zynismus.
Da David und Rebekka weder krank noch arm noch Asiaten waren – allesamt K.-o.-Kriterien bei der Einreisekontrolle –, hatten sie gute Aussichten, unter den strengen Blicken des Immigration Officers zu bestehen.
»Mr Murray, Ihre Dokumente sind ja gerade mal zwei Wochen alt«, stellte der Beamte nach einem nervtötend langen Studium der Papiere fest.
»Fünfzehn Tage, um exakt zu sein«, bestätigte David.
»Das ist zu kurz.«
»Wie bitte?« David fühlte, wie sein Blut zu kochen begann. Rebekka ergriff seinen Arm und drückte ihn.
»Die Vorschriften besagen, dass ein Personalausweis oder ein demselben Zweck dienender amtlicher Identitätsnachweis mindestens drei Monate alt sein muss.«
»Ja, glauben Sie denn, das ist eine Fälschung?«, erboste sich David. Hinter seiner selbstsicheren Fassade brach ihm der Angstschweiß aus.
»Das wäre immerhin möglich.«
»Und warum habe ich mir dann nicht gleich ein Datum ausgedacht, das vor Ihren strengen Einwanderungsvorschriften bestehen kann?«
»Diese Frage steht hier nicht zur Debatte, Mr Murray. Ich kann Sie und
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