Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
ich bin gerne bereit auch für eine gewisse Zeit als Volontär bei Ihnen zu arbeiten. Doch um eines muss ich Sie bitten: Verlangen Sie nie von mir mein Geheimnis preiszugeben. Ich würde wer weiß was dafür geben, bei Time zu arbeiten, aber das kann, nein, das darf nur unter dem Namen Francis Jacob Murray geschehen – besser noch unter mehreren Pseudonymen.«
Der junge Verleger blickte seinen Gesprächspartner eine ganze Weile mit versteinerter Miene an. David hätte es Hadden nicht verübeln können, wenn er jetzt ablehnte. Er war sich nicht einmal sicher, ob er selbst einen Bewerber unter diesen Bedingungen einstellen würde.
Mit einem Mal begann Hadden zu nicken. »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass wir einen Journalisten der Londoner Times als Volontär bei uns beschäftigen werden.«
David wagte nicht zu atmen. War das nun ein Ja oder ein Nein?
»Sie werden natürlich bei vollem Gehalt eingestellt.«
»Das heißt… Sie wollen wirklich…?«
»Ich weiß nicht genau, wie Sie es geschafft haben, mich zu überzeugen – bei Gelegenheit müssen Sie mir diesen Trick mal verraten –, aber ich bin von Ihrer Vertrauenswürdigkeit und Aufrichtigkeit überzeugt. Um es zu einem Senior-Schreiber zu bringen, müssen Sie sich allerdings zuerst ein paar Sporen verdienen, Francis.«
»Sie meinen, Sie wollen es wirklich mit mir versuchen, Sir?«, wiederholte David noch einmal.
»Brit.«
»Wie bitte?«
»Wir beide könnten Brüder sein. Also sagen Sie bitte einfach Brit zu mir, einverstanden?«
»Ja, gerne.«
»Da gibt es allerdings noch eine Hürde, die wir beide nehmen müssen.«
»Und die wäre?«
»Henry, mein Partner.«
»Oh! Den hatte ich fast vergessen.«
»Das sollten Sie ihm nicht unbedingt auf die Nase binden, wenn wir jetzt zu ihm hinübergehen. Kommen Sie.«
Hadden erhob sich schwungvoll von seinem Schreibtisch und schob David aus dem Büro hinaus. Nachdem er bei seiner Sekretärin die Getränkebestellung umdirigiert hatte, lotste er seinen Gast einen schmalen Gang entlang zu einem benachbarten Büro. Nach einmaligem Anklopfen trat er ein.
»Henry, ich muss dir einen jungen Mann vorstellen.«
»Tu nicht immer so, als ob du ein vergreister Zeitungsmagnat wärst«, antwortete ein aschblonder Mann, der hinter einem wuchtigen Schreibtisch saß, auf dem sich Berge von Papier häuften. Haddens Partner hievte sich aus einem drehbaren Sessel hoch und kam David entgegen.
Luce besaß ein kantiges Gesicht. Er war vermutlich im gleichen Alter wie sein Kompagnon, jedoch etwas größer und kräftig, ohne dabei dick zu wirken. Sein Blick verriet mehr als nur den Enthusiasmus der Jugend. David glaubte darin etwas Raubvogelhaftes zu sehen, einen sicheren Beuteinstinkt, aber auch eine eiserne Entschlossenheit.
»Henry Robinson Luce«, stellte sich Haddens Partner vor, »erfreut Sie kennen zu lernen, Mr…?«
»Sein Name ist Francis Jacob Murray«, sprang Briton Hadden hilfreich ein.
»Murray? Etwa so wie das schottische Adelsgeschlecht?«
»Der achte Herzog von Atholl ist mein Adoptivvater«, sagte David.
Luce hob die Augenbrauen. »Das klingt interessant. Bitte setzen Sie sich doch. Was bringt Brit dazu, Sie hierher in mein Büro zu schleifen?«
In diesem Moment bummerte es an der Tür. Hadden sprang hin und öffnete sie. Die Sekretärin balancierte ein rundes Tablett mit Tee herein. Nachdem sie Kanne, Geschirr, Zucker und einen Teller mit Keksen auf einem Besprechungstisch verteilt hatte, bekam David endlich Gelegenheit zu einer umfassenden Vorstellung. Im Wesentlichen wiederholte er für Luce die Informationen, die er zuvor auch schon Hadden anvertraut hatte.
Anschließend präsentierte er einen gerafften Lebenslauf in umgekehrt chronologischer Reihenfolge. Er begann bei seiner Hochzeit in Schottland, widmete seiner Beschäftigung bei der Times in London etwas mehr Zeit und bewegte sich dann zügig in Richtung Vergangenheit, über das Studium in Oxford, den Großen Krieg, den Aufenthalt in Wien und seine Kindheit in Japan. Als er damit schloss, exakt am 1. Januar des neuen Jahrhunderts in Tokyo geboren worden zu sein, schmunzelten die beiden Time-Herausgeber einander an.
David hatte sie in seinen Bann geschlagen. Seltsam, wie oft ihm das schon passiert war. Vom kleinen Hito über Tolkien, Lieutenant Hastings, den Herzog von Atholl bis hin zu diesen beiden hochintelligenten Männern erlebte er immer wieder denselben erstaunlichen Vorgang: Menschen vertrauten ihm. Ja, mehr noch, sie empfanden den
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