Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
Wunsch ihm zu helfen. Auch Henry Luce, der auf David bestimmt nicht den Eindruck eines leichtgläubigen Mannes machte, war mit einem Mal offen wie ein Buch.
Er und Hadden seien selbst auch nur zwei Jahre älter als Francis, gestand Luce und begann darauf offenherzig aus seiner eigenen Vita zu plaudern. Er, Luce, habe in Tengchow, in der chinesischen Shantung-Provinz, das Licht der Welt erblickt und sei dann im Alter von zehn auf ein britisches Internat in Chefoo im Norden des Landes geschickt worden. Später ging er allein erst nach England, dann in die Vereinigten Staaten, wo er in Yale studierte. Dort begann er mit Hadden, den er schon von der Schule in Hotchkiss her kannte, die Idee eines völlig neuartigen Magazins auszuhecken, das sie beide, kaum drei Jahre nach dem Studium, aus der Taufe hoben. Momentan werfe ihr »Baby« zwar noch keine Gewinne ab, aber wenn David mit einem bescheidenden Anfangseinkommen zufrieden sei, dann könne er zu denjenigen gehören, die einer völlig neuen Idee des Journalismus Leben einhauchten. Er würde vielleicht – im wahrsten Sinne des Wortes – Geschichte schreiben.
»Mr Luce!«
»Henry!«
»Entschuldigung. Henry, Sie ahnen ja nicht, wie dankbar ich Ihnen bin. Bisher war Egon Erwin Kisch immer mein Vorbild. Sein Buch Der rasende Reporter hat mich fasziniert. Er reist durch die Welt und bringt die Dinge auf den Punkt…«
»Wobei wir nicht vergessen dürfen, dass Kisch hauptsächlich für liberale Tagesblätter in Berlin schreibt«, merkte Luce an. »Ich habe ihn einmal kennen gelernt. Mir gefällt vieles von dem, was er schreibt. Er hat eine neue Form der Berichterstattung geschaffen, die kritische Wirklichkeitsdarstellung als gesellschaftsveränderndes Kampfinstrument versteht. Auch Time ist ein kritisches, manchmal auch ein etwas exzentrisches Magazin, wenn ich auch zugeben muss, dass wir die Welt so sehen, wie sie sich dem Amerikaner darstellt. Wir wollen der wachsenden Bedeutung unseres Landes als führender Nation der Erde Rechnung tragen.«
»Angenommen, Ihr ›Baby‹, wie Sie es nannten, wäre schon zehn Jahre alt, wie hätten Sie dann über den Krieg berichtet?«, fragte David ernst. Ihm war die britische Kriegspropaganda noch gut in Erinnerung und er hatte das Gefühl diese Frage stellen zu müssen.
Die beiden Publizisten wechselten einen rascher! Blick, bevor Luce antwortete: »Ihre forsche Art gefällt mir, Francis, und ich kann mir denken, worauf Sie hinauswollen. Aber wie könnte ich Ihnen eine klare Antwort geben, da es Time im Großen Krieg noch nicht gegeben hat? Lassen Sie uns also nicht hypothetisch werden. Brit und ich können Ihnen Folgendes zusichern: Wir verfolgen in unserem Magazin ein disziplinierendes, moralisches Verständnis der Geschichte. Nach der Lektüre eines Time-Artikels soll der Leser besser in der Lage sein ein bestimmtes Thema zu beurteilen. Natürlich mag das auch seine persönlichen Entscheidungen beeinflussen, aber im Gegensatz zur Propaganda wollen wir keinem eine Meinung aufzwingen, sondern den Menschen helfen sich selbst eine Meinung zu bilden.«
»Das klingt ziemlich pathetisch.«
Hadden musste lachen. »Lassen Sie sich nicht von Henrys kleiner Ansprache irritieren, Francis. Es ist ihm schon so in Fleisch und Blut übergegangen, für unser Baby Werbung zu machen, dass er es selbst kaum noch bemerkt. Aber glauben Sie mir, Sie werden es nicht bereuen, bei Time angefangen zu haben. Einiges hier wird Ihnen neu erscheinen und gerade am Anfang wird es nicht immer leicht für Sie sein, Ihre Arbeitsweise umzustellen, aber lassen Sie sich bitte nicht davon entmutigen.«
»Keine Sorge, das war mir schon vorher klar. Ich habe mich bereits mit dem besonderen Konzept Ihres Magazins vertraut gemacht – nur als Leser, versteht sich.«
»Es ist nicht nur das andere Selbstverständnis, das unser Magazin von herkömmlichen Zeitungen unterscheidet«, sagte Luce leise und jetzt formulierte er die Sätze sehr präzise. »Auch unsere Arbeitsweise wird Ihnen anfangs ungewöhnlich vorkommen. Wir bevorzugen Teamarbeit. Ich nenne das ›Gruppenjournalismus‹. Der Reporter sammelt die Informationen und konzipiert den Artikel. Der Redakteur feilt so lange am Rohtext, bis dieser den strengen Maßstäben unseres Magazins genügt. Jede Time-Ausgabe ist wie aus einem Guss. Das Magazin muss einen eigenen, unverwechselbaren Charakter haben, mit dem sich der Leser identifizieren kann. Erst wenn dieser glaubt, die Ausgabe, die er gerade liest, sei von
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