Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
derselben Hand geschrieben wie die davor und auch die, welche er nächste Woche kaufen wird, dann haben wir es richtig gemacht.«
David nickte. »Ich kann mir gut vorstellen, weshalb Sie das sagen, Henry. Die meisten Schreiber sind in ihre Texte verliebt und mögen es nicht besonders, wenn ein anderer sie manipuliert. Aber wie ich Ihnen bereits sagte, liegt mir nichts daran, meinen Namen herauszustreichen. Eher das Gegenteil ist der Fall.«
»Fein. Ich denke, es wird das Beste sein, Sie vorerst einem unserer erfahreneren Schreiber zuzuweisen.«
»Was hältst du von John?«, fragte Hadden dazwischen.
Luce lächelte. »Meinetwegen.« An David gewandt erklärte er: »John Martin ist Haddens Cousin. Ein fähiger Redakteur. Er wird Ihnen das nötige Handwerkszeug mitgeben, das Sie brauchen, um ein echter Time-Schreiber zu werden.«
Nun erging sich Henry R. Luce in einem längeren Monolog über die Besonderheit seines Magazins, der eindeutig darauf abzielte, David auf seinen neuen Arbeitgeber einzuschwören. Das zwanzigste Jahrhundert habe, so erklärte Luce, Veränderungen eingeleitet, die viele der klassischen Nachrichtenblätter immer noch nicht begriffen hätten. Das Leben werde immer schneller und hektischer – übrigens nicht nur in den USA. Bald werde es mehr rastlose städtische Angestellte als Land- oder Fabrikarbeiter geben. Die sich aufblähenden Verwaltungen der immer größer werdenden Firmen saugten mehr und mehr Menschen auf. Diesen jungen Männern – immer häufiger auch Frauen – winke eine hübsche Karriere, bei der man sich nicht mehr die Finger schmutzig machen müsse. Gebildet und mit einem guten Einkommen ausgestattet wollten sie längst mehr als nur arbeiten und eine Schar hungriger Mäuler stopfen. Das seien die Leser ihres Magazins, betonte Luce mit Nachdruck, nicht die Aristokraten, Großindustriellen, Politiker und Akademiker – jedenfalls nicht hauptsächlich.
Die Amerikaner müssten lernen über ihren eigenen Tellerrand zu blicken, erklärte er weiter. »Unsere Zeitungen haben auf diesem Gebiet bisher leider keine allzu löbliche Arbeit geleistet. Aber die Welt wird sich verändern. Nur wer begreift, was andere Nationen tun, wird zukünftig verstehen, was in der eigenen vor sich geht. Deshalb wollen Brit und ich die Leute umfassend und akkurat informieren, Francis. Alles, was wir bringen, muss bis auf das i-Tüpfelchen genau sein. Meine Schreiber verbringen viel kostbare Zeit damit, in Nachschlagewerken oder Bibliotheken nach Hintergrundinformationen zu suchen. Die aktuellen Informationen beziehen wir aus Zeitungsausschnitten oder anderen gängigen Nachrichtenquellen. Nichtsdestoweniger sind wir ein wöchentlich erscheinendes Magazin. Das heißt, wir können und wollen nicht die Tagesaktualität zu unserem Ziel machen.«
»Und wie schaffen Sie es, die Leser mit Ihrem derart genau recherchierten Material nicht zu erschlagen?«
»Durch einen neuen Stil und eine neue Orientierung. Wie Sie sehr bald – und manchmal leidvoll – feststellen werden, ist mein alter Klassenkamerad Brit ein Korinthenkacker…«
»Wie bitte?«
Briton Hadden verzog das Gesicht. »Musst du dieses Wort immer wieder in den Mund nehmen, Henry!«
»Genau darum geht es«, erklärte Luce seinem neuen Mitarbeiter gut gelaunt. »Wenn Sie Brit einen Text mit zweitausend Wörtern vorlegen, dann kann es Ihnen passieren, dass Sie nur noch tausend von ihm zurückbekommen. Er ist der ungekrönte Meister eines flotten, frischen und trotzdem präzisen Schreibstils. Aber das ist nur eine Zutat aus unserer Giftküche. Eine andere ist die konsequente Orientierung auf Personen.«
»Das ist mir schon aufgefallen. Auf Ihren Titelblättern sind fast immer Köpfe zu sehen.«
Luce nickte grinsend. »Vorzugsweise menschliche. Ich halte es mit Thomas Carlyle, der meinte, große Ereignisse würden auch von großen Männern und – wie ich persönlich glaube – auch bedeutenden Frauen herbeigeführt. Je früher Sie sich das einprägen, desto besser, Francis: Time ist ein Magazin von Menschen, über Menschen, für Menschen. Nichts ist ermüdender, als über trockene Themen zu schreiben. Was die Menschen wirklich interessiert, sind Leute. Frauen wie Marie Curie, Mata Hari oder Josephine Baker und Männer wie Woodrow Wilson, Albert Einstein, Mohandas Gandhi oder Adolf Hitler… «
»Hitler?«
»Ja, dieser unbegabte Künstler aus Österreich, der im Krieg als Meldegänger im bayerischen Regiment List an der Westfront gedient hat und
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