Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind
namens Kido, der einen eigenen Geheimdienst unterhielt. Kidos Leute observierten inzwischen über zwanzig Objekte, die der Geheimgesellschaft Schwarzer Drache angehörten. David war sich durchaus des Risikos bewusst, Hirohitos Hofbeamte mit in die Suche nach Toyama einzubeziehen. Er empfand ein elementares Misstrauen gegen jede Art von Spionen. Aber was sollte er tun? Ohne Helfer war er dem Kreis der Dämmerung hoffnungslos unterlegen. Nur mithilfe des japanischen Kaisers konnte er diese Treibjagd in Gang bringen, die früher oder später zu einem Ergebnis führen musste.
Diese Hatz nahm David immer stärker in Anspruch. Manche Ereignisse, die fast die ganze Welt in Aufruhr brachten, gingen fast unbemerkt an ihm vorüber. Es war Rebekka, die ihm am Morgen des 22. Mai 1927 aus der Zeitung vorlas, dass der Postflieger Charles A. Lindbergh tags zuvor in Paris gelandet war, nachdem er als erster Mensch in einem Flugzeug den Atlantik überquert hatte. Was Kolumbus noch Wochen abnötigte, schaffte Lindbergh mit seiner Spirit of St. Louis in knapp dreiunddreißigeinhalb Stunden.
Rebekka war für David in jeder Hinsicht eine große Stütze, und das, obwohl ihre Kinderlosigkeit sie manches Mal bedrückte. Als vom Hofe bekannt gegeben wurde, dass Nagako zum zweiten Mal schwanger war, brach Rebekka in Tränen aus. Es gab Zeiten, da war sie sogar unausstehlich. Ohne Davids ungebrochene Liebe wäre sie vielleicht in Depressionen versunken, aber er hielt zu ihr, wohl wissend, was die Ursache für ihre Schwermut war. Zum Glück verbarg sich in der so zerbrechlich scheinenden Frau eine starke Persönlichkeit. Rebekkas Betrübtheit hielt nie sehr lange an und bald schon erfüllte wieder ihr unbekümmertes Lachen das Haus am Yoyogi-Park.
Die Prüfungen, die sie an Davids Seite durchstehen musste, machten sie reifer, selbstbewusster und für ihren Ehemann noch begehrenswerter. Während noch die mogas, die »modernen Mädchen«, mit ihren Pagenschnitten und den neuerdings sogar kniefreien Röcken die radikalen Traditionalisten schockierten, entwickelte Mrs Rahel Murray ihren eigenen Stil. Ihr Haar wurde zusehends länger, was sie weiblicher und weniger burschikos erscheinen ließ. Auf einem Presseempfang, den die Murrays besuchten, fragte ein Kollege David, aus welchem Palast er denn diese »Prinzessin aus Tausendundeiner Nacht« entführt habe.
Kennzeichnend für die charakterliche Entwicklung, die Davids »Prinzessin« durchmachte, war auch ihre Wiederaufnahme des Klavierunterrichts. Sie hatte beschlossen irgendwann in naher Zukunft selbst zu unterrichten. Am liebsten wollte sie Kindern beibringen »die Sprache der Musik zu erlernen«. So drückte sie sich aus, wenn sie David klarmachte, Menschlichkeit sei immer auch mit den schönen Künsten verbunden gewesen. Ihre Doktrin lautete: »Unmenschen sind selten überzeugte Ästheten.«
Über die musikpädagogischen Ambitionen hinaus erinnerte sich Rebekka ihrer Zeit in Oxford, als sie mit nicht geringem Erfolg das Französisch von Mrs Greenborough aufgefrischt hatte. Wenn David und Rebekka Bekannte trafen oder eine Gesellschaft besuchten, machte sie hier und da einige wohl platzierte Andeutungen. Das Ableben von Claude Monet im Dezember ‘26 hatte auch im europaversessenen Japan zu einem Aufleben des Interesses an französischer Kultur geführt und so verwundert es nicht, wenn Rebekkas Bemerkungen auf fruchtbaren Boden fielen. Bald schon konnte sie sich nicht mehr vor Anfragen von Japanerinnen retten, die sich unterkultiviert fühlten und gerne die weich schwingende Sprache von Monet, Renoir und Debussy erlernen wollten.
Im Sommer 1927 verbrachten David und Rebekka drei traumhafte Wochen am Strand von Sagami. Das gab ihnen beinahe täglich Gelegenheit mit dem Kaiserpaar zusammenzutreffen. Zwischen Rebekka und der in guter Hoffnung befindlichen Nagako entwickelte sich ein herzliches Verhältnis. Hin und wieder fuhr David auch mit Hito und Dr. Hattori aufs Meer hinaus, um nach Algen und anderen Pflanzen zu fischen. Der Biologielehrer des Kaisers war ein gewitzter kleiner Mann mit einem erstaunlich großen Wissen.
Niemand durfte erfahren, dass sich der Kaiser mit Ausländern »besudelte«. Während daher die im feuchtwarmen Klima Tokyos schwitzenden Menschen der Vorstellung nachhingen, ihr Tenno befinde sich irgendwo in der Zentralregion des Himmels, genossen die beiden Paare und der Gelehrte wie eine verschworene Gemeinschaft die lauen Abende im Strandpalast von Hayama. Die
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