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Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind

Titel: Der Kreis der Dämmerung 01 - Das Jahrhundertkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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widerspruchslosen Gehorsam dem Tenno oder auch irgendeiner anderen Idee gegenüber aufzog, wurden später Erwachsene mit einer für die Mächtigen wünschenswerten Eigenschaft: Sie waren eine leicht manövrierbare Masse, die sich zu fast jeder Schandtat einsetzen ließ. Das japanische Volk sollte diese Lektion noch leidvoll erlernen.
    Im April 1908 erlebten David und Yoshi eine Überraschung. Eigens für Hirohito wurde am Gakushuin eine Klasse eingerichtet, die ausschließlich den Kindern des Hochadels vorbehalten war. Als naher Verwandter des vielmaligen Premiers Hirobumi Ito wurde Yoshi auch in diesen neuen Kader aufgenommen. Nun waren Davids beste Freunde also unversehens Klassenkameraden geworden.
    Die Kommunikation mit dem Vogel im goldenen Käfig wurde dadurch erheblich erleichtert. Yoshi musste ein ums andere Mal als Botengänger herhalten und die Kassiber überbringen, die David und der Prinz untereinander austauschten. Hirohito brachte darin seine Freude zum Ausdruck endlich den alten Zuchtmeister Kinsaku Maruo abgehängt zu haben. Künftig sollte Graf Nogi für sein geistiges Wachstum sorgen. David äußerte Zweifel, ob sich für Hito dadurch etwas zum Vorteil wende, aber der Kaiserenkel hielt große Stücke auf den alten Recken und seine vielfältigen Fähigkeiten, die sich beileibe nicht nur auf das Kriegshandwerk beschränkten, sondern von der Bonsaizucht über die Kalligrafie bis hin zum Ikebana, der Kunst des Blumensteckens, reichten.
    Obwohl es David schwer fiel, Hitos Begeisterung für diesen von Yoshi in so ganz anderen Farben beschriebenen Mann zu teilen, freute er sich doch, dass sein sensibler Freund nun einen festen Bezugspunkt im Leben hatte, etwas, das ihm sein kränkelnder Vater, der Kronprinz Yoshihito, nie hatte geben können, dürfen und vielleicht auch nicht wollen.
    Abgesehen davon freute sich David in diesen Tagen hin und wieder sogar einige Minuten in der Gemeinschaft seiner beiden Freunde zu verbringen. Das ist insofern von Wichtigkeit, weil es mit einer anderen bedeutenden Entwicklung in seinem Leben zusammenfiel: der gezielten Nutzung seiner Gaben.
    Wie bereits erwähnt, war sich David spätestens seit der Begegnung mit Hirohito auf dem Shimbashi-Bahnhof seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten bewusst, ohne jedoch viel darüber nachgedacht zu haben. Alles, was andere Menschen staunen machte, bedeutete für ihn nicht mehr als das Fangen eines Balls. Und nichts anderes hatte er jahrelang während der Budo-Übungen getan, die seiner Mutter solche Seelenpein bereiteten. Seit Yoshi das Gaku-shuin besuchte, erhielt David nämlich genau hier seine Ausbildung in den japanischen Kampfeskünsten.
    Dort fiel den Meistern auch bald schon die geradezu beängstigende Reaktionsschnelligkeit des Knaben auf. Das zeigte sich vor allem im ken-no-michi, auch gekken genannt, dem japanischen Schwertkampf also, den die Schüler jedoch aus verständlichen Gründen nicht mit geschmiedetem Stahl, sondern mit gestutztem Bambus ausfochten. Noch bevor ein Gegner auch nur ausholen konnte, um sein Bambusschwert mit lautem Kampfgeschrei auf Davids Bogu, seine Rüstung, zu dreschen, sah dieser den Angriff schon voraus und traf den Kontrahenten genau da, wo er sich im Augenblick der Attacke die größte Blöße gab.
    Eines Tages führte sein Gekken-Meister Jutaro Yoneda mit ihm ein Experiment durch. Unter den Augen aller Mitschüler verband er dem Achtjährigen mit einer schwarzen Binde die Augen und unternahm dann eigenhändig einige heftige Angriffe auf ihn. Kein einziger Streich traf sein Ziel. Eine ganze Weile wehrte David die Hiebe geduldig ab und als ihm das Spiel zu langweilig wurde, versetzte er seinem Lehrer einen regelwidrigen Schlag gegen den ungeschützten Fußknöchel. In den folgenden vier Wochen wurde David von den Übungsstunden befreit.
    An diesem Tage hatte er sie zum ersten Mal bewusst eingesetzt, jene Gabe, die er selbst später Sekundenprophetie nannte, weil sie ihn nie weiter als wenige Augenblicke in die Zukunft sehen ließ. Nun, es war keine große Angelegenheit für ihn. Er hatte einfach nicht länger von Meister Yoneda wie ein Zirkuspferd vorgeführt werden wollen. Aber der Entschluss, dem sinnlosen Schlagabtausch ein Ende zu bereiten, war dennoch eine planmäßige Handlung gewesen. Ja, von stiller Befriedigung erwärmt, hatte er den Meister nachher noch wortreich bedauert und ihm angekündigt, sein Knöchel würde wohl bald blau wie der Himmel über dem Fujiyama sein. Kaum drei Atemzüge

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