Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
sich die Restaurierung der babylonischen Glaskugel unerwartet lange hinzog, kümmerte er sich in den folgenden Tagen wieder verstärkt um seine anderen Verbündeten. Am Abend des 24. August besuchte er in Begleitung Rebekkas das Diplomatenpaar Griffith. Sean war ganz aufgedreht, was überhaupt nicht seinem Naturell entsprach. Eine Depesche hatte in der Botschaft für Aufregung gesorgt. Als Gläubiger Deutschlands war jetzt auch Großbritannien in den Finanzstrudel geraten. Das britische Pfund begann zu wanken.
Wer nicht schon Arbeit und Wohlstand verloren hatte, der fürchtete nun um seinen Besitz. Mit jedem Tag wurde das Klima drückender. Die braunen und roten Schlägertrupps prügelten in Deutschland munter weiter, obwohl sie es per Notverordnung eigentlich nicht mehr durften. Manchen schien das im Übrigen gar nicht zu berühren. Ein Paradebeispiel solchen Ignorantentums war Frau Joleite. Drei Tage nach dem britischen Finanzdebakel stimmte sie eine Lobeshymne auf die deutsche Ingenieurkunst an. Die Landung des Zeppelins kürzlich auf dem Tempelhofer Flugfeld, von der sie »mit eijenen Ojen Zeuje jewesen« sei, sei ja so ergreifend gewesen! Und die DO-X, das neue Flugboot von Dornier, sei sogar »bis nach Neu Jork jekommen. Muss man sich mal vorstellen! Det Hecht in Amerika.« Im Völkischen Beobachter habe gestanden, dem deutschen Erfindergeist könne niemand auf der Welt das Wasser reichen.
»Jetzt wissen wa endlich, wo die jeistije Heimat von de Joleite is’«, flüsterte Richard Seybold, nachdem die Jungfer sich auf ihren Horchposten zurückgezogen hatte.
Rebekka sah den Nachbarn fragend an.
»Adolf Hitler höchst persönlich gibt den Völkischen Beobachter heraus«, erklärte David, ohne dabei die Stimme zu senken. »Jedenfalls wird das im Kopf der Gazette behauptet und dazu bezeichnet sich diese ›Zeitung‹ auch noch als ›Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands‹.«
»Eindeutig det mieseste Klopapier wat de für fuffzehn Pfennije kriejen kannst«, kommentierte Horst Lotter, während er sich nachdenklich das stoppelige Kinn kratzte. »Ob ick de Joleite vielleicht mal ordentlich durchprüjeln soll? Nur so rein präventiv, verstehst de?«
»Lass gut sein, Hotte«, beruhigte David den in letzter Zeit etwas aus dem inneren Gleichgewicht geratenen Nachbarn. »Die Joleite gehört schließlich nicht zur SA. Und deine Narbe am Kopf verschwindet auch nicht, wenn du deinen Hass gegen die NSDAP an einer verbitterten alten Jungfer auslässt.«
»Die Joleite bei der SA. Wär ja noch schöner!«, schnaubte Horst, ließ aber von seinem Disziplinierungsplan vorerst ab.
»Mir machen alle diese Technikmonster Angst«, sagte Rebekka einmal mehr und versicherte, sie werde nie in ein Boot steigen, das, anstatt ordentlich auf dem Wasser zu schwimmen, durch die Luft fliege oder gar unter Eisschollen herumrutsche.
»Aber Enten fliegen auch, Schatz, und gründein tun sie ebenfalls«, versuchte David für den Fortschritt Partei zu ergreifen.
»Ich werde nie gründein. Oder sehe ich etwa wie eine Ente aus?«
»Das glaube ich nicht!«
»Mir ist es genauso gegangen, David. Aber es ist leider wahr.«
David sackte kraftlos in seinem Stuhl zusammen und ließ den Telefonhörer in den Schoß sinken. Am anderen Ende der Leitung befand sich Walter Andrae. In den zurückliegenden Wochen war der Wissenschaftler für David zu einem vertrauten Freund geworden, als Helfer fast ebenbürtig mit Edgar Jung oder Friedhelm Lauser. Eine piepsige Stimme ertönte leise aus Davids Schoß.
»Bist du noch dran?«
David hielt wieder den Hörer ans Ohr. »Ja, Walter. Wie konnte das nur geschehen?«
»Jemand ist in die Werkstatt eingebrochen und hat die Kugel gestohlen.«
»Wurde noch mehr entwendet?«
»Außer dem Schablonenstein fehlt nichts.«
»Was sagt die Polizei?«
»Die versteht nicht, warum wir – ich zitiere – ›wegen eines Glasklumpens ein solches Gewese machen‹.«
»Hast du ihnen nicht gesagt, dass wir mit diesem ›Glasklumpen‹ die ganze Welt hätten retten können?«
»Denkst du, der ermittelnde Beamte wäre dann aufgesprungen und hätte die ganze Berliner Polizei mobilisiert? David, sieh die Sache doch einmal realistisch. Niemand hätte mir geglaubt. Mir ist es ja anfangs selbst schwer gefallen, diesen Kreis der Dämmerung als echte Bedrohung zu akzeptieren.«
»Dann können wir Jasons Träne wohl abschreiben.«
»Du darfst die Flinte nicht gleich ins Korn werfen, mein Junge. Ich habe
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