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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Ayckbourn lächelte und ließ seinen Blick auf die Tischplatte fallen, die ihn von David trennte. Auf dem rotbraunen Holz lagen zwei britische Pässe.
    Im Grunde wusste David schon längst, worauf die Sache hinauslief. Wenn der Geheimdienst Ihrer Majestät es für nötig erachtete, würde man ihn unter Druck setzen und mehr von ihm verlangen. Andererseits konnte ihm der Kontakt zum Secret Intelligence Service auch von Nutzen sein. Und wenn die andere Seite zu aufdringlich wurde, dann blieb immer noch die Flucht in eine neue Identität. Diese lag zum Greifen nahe vor ihm auf dem Tisch. Er musste nur Ja sagen. Die nach Davids Wünschen speziell präparierten Pässe, gewissermaßen die amtlichen Beglaubigungen einer neuen Legende für die Pratts, waren ja der eigentliche Grund, weshalb Sean den Kontakt zu Lloyd Ayckbourn hergestellt hatte. David spürte selbst, dass die Luft in Berlin immer dünner wurde, wie Friedhelm sich ausgedrückt hatte. Daher wollte er vorbereitet sein, wenn es wieder einmal hieß, schnell und unauffällig abzutauchen.
     
     
    David und Rebekka standen am Pariser Platz und verfolgten mit finsteren Mienen die Lastwagen, die von der Technischen Universität kommend durch das Brandenburger Tor fuhren. Auf den Ladeflächen lag die Fracht hoch aufgetürmt. Außen an den LKWs waren Plakate angebracht.
     
    DEUTSCHE STUDENTEN MARSCHIEREN WIDER DEN UNDEUTSCHEN GEIST
     
    Das, was schwer auf den Blattfedern der Wagen lastete, war eine Unmenge von »undeutschen« Büchern. Wilhelm Krützfeld war am Hackeschen Markt inzwischen zum Revierleiter aufgestiegen und rechtzeitig über den Transport informiert worden. Es musste ja alles seine Ordnung haben.
    Die Aktion lief schon seit einigen Tagen. Vor allem Rebekka war außer sich vor Zorn gewesen, als David ihr die Neuigkeiten von dem geheimen Treffen mit Wilhelm erzählte (derartige Informationen am Telefon weiterzugeben wagte er nicht mehr). Anschließend hatte er »Väterchen« Ayckbourn in Kenntnis gesetzt.
    Die Studentenkorsos erinnerten eher an Ausflüge von Männergesangsvereinen. Von glühenden Reden nationalsozialistischer Funktionäre begleitet, wurden sie nachts sogar mit Fackeln und Feuersprüchen illuminiert. In Wirklichkeit waren es Leichenzüge. Die Lastwagen hielten vor den öffentlichen Bibliotheken und die völkisch gesinnten Studenten schleppten bergeweise »weltbürgerlich-jüdisch-bolschewistische Zersetzungsliteratur« heraus. Nicht jeder konnte sich unter diesem Ausdruck etwas Gefährliches vorstellen, deshalb musste wohl auch ein so großer Aufwand getrieben werden.
    An diesem Tag, dem 10. Mai, sollte der in Büchern gebannte »Ungeist« öffentlich verbrannt werden, wie eine Hexe oder irgendein anderer Dämon. Einige der größten Werke toter und – wenn sie klug waren, nun im Exil – lebender Autoren wurden damit »dem Feuer überantwortet«, wie es grausam beschönigend hieß. Die Bücher von Max Brod, Lion Feuchtwanger, Erich Kästner, Egon Erwin Kisch, den Brüdern Mann, Arthur Schnitzler, Kurt Tucholsky, Arnold und Stefan Zweig befanden sich darunter… Die Liste war lang.
    Chaim Blumenthal hatte einige Tage versucht sich auf seine jüdische Kundschaft zu konzentrieren sowie auf die wenigen, die noch den Mut besaßen, sich öffentlich zu einem jüdischen Mitbürger zu bekennen. Denn das musste man, wenn man an den SA-Posten vorbei ein jüdisches Geschäft betreten wollte. Dieses Aufbäumen gegen den staatlich geförderten Judenboykott war allerdings nur ein letzter, vergeblicher Kraftakt. Im Mai forderte der Börsenverein der Deutschen Buchhändler dazu auf, »undeutsche« Werke nicht mehr zu verkaufen. Die Lagerbestände ließen sich danach nur noch mit einigen wenigen antiquarischen Werken auffrischen. Die letzten, viel zu schnell verrinnenden Körnchen einer Sanduhr.
    Eher aus stiller Wut denn aus Übermut nahm David auf dem Plakat des vorüberziehenden Wagens eine geringfügige »Korrektur« vor. Die begeisterte Masse bemerkte nicht einmal, welch tiefer Wahrheit sie nun zujubelte:
     
     
    DEUTSCHE STUDENTEN MARSCHIEREN WIDER DEN URDEUTSCHEN GEIST
     
    »Komm«, sagte David müde zu Rebekka und legte ihr die Hand um die Schulter. »Ich kann diese johlende Menge nicht mehr ertragen.«
    Rebekka nickte. »Du hast Recht. Gehen wir. Mir wird ganz übel, wenn ich diese aufgekratzten Studenten sehe. Sie lassen ihre Kultur zur Ader und merken nicht einmal, dass sie dabei verbluten. Außerhalb Deutschlands ist man schon längst auf

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