Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Springbrunnen gab er einen idealen Hintergrund für »Zufallsbegegnungen« vermeintlich Erholung suchender Spaziergänger ab.
»Mir wird hier die Luft zu dünn«, begründete Friedhelm seine Entscheidung die Stadt zu verlassen. Die beiden saßen auf einer Parkbank und ließen sich die warme Aprilsonne ins Gesicht scheinen.
David war geknickt. Der Kollege von der Berliner Illustrierten Zeitung hatte ihm in den vergangenen Monaten nicht nur wertvolle Informationen geliefert, er war auch zu einem Freund geworden. »Wo willst du denn hin?«
»Erst einmal nach Dänemark. Von dort aus fahre ich vielleicht in die Neue Welt.«
»Du meinst, in die Vereinigten Staaten.«
Friedhelm nickte.
»Du sagtest mal, dein Englisch sei nicht schlecht.«
Der Freund nickte abermals.
David zog einen Zettel aus der Tasche und schrieb drei Namen und zwei Telefonnummern darauf.
»Laird Goldsborough, Henry Luce und Francis Jacob Murray?«, las der Reporter stirnrunzelnd.
»Der eine ist gewissermaßen mein direkter Vorgesetzter bei Time – Laird betreut die Auslandsnachrichten im Magazin. Und Henry Luce gehört der ganze Laden.«
»Ich soll mich in New York an den Herausgeber des Time-Magazins wenden?«, fragte Friedhelm ungläubig.
»Sag ihnen, dass ich dich geschickt habe. Von mir bekommen sie noch gesonderte Nachricht.«
»Und wer ist dieser Murray?«
»Das bin ich.« David grinste schief. »Es ist gewissermaßen ein Pseudonym von mir und wird Henry davon überzeugen, dass du nicht irgendein Wichtigtuer bist. Im Augenblick kann ich leider nicht mehr für dich tun, Friedhelm. Gib mir bitte über Sean Griffith bei der britischen Botschaft Bescheid, wenn du drüben eine feste Bleibe gefunden hast.«
»Vielen Dank für deine Hilfe, David, das werde ich machen«, versprach Friedhelm. Er zog seine Brieftasche aus der Jacke und entnahm ihr eine in der Mitte gefaltete Karte, die er David reichte. »Lass mich dir auch ein kleines Andenken geben. Ich brauche ihn ja jetzt nicht mehr.«
»Was ist das?«
»Mein Presseausweis. Mit einem Foto von mir. Vielleicht denkst du ja mal an mich, wenn du gerade nichts Besseres zu tun hast.«
David bedankte sich für das außergewöhnliche Erinnerungsstück und versprach es in Ehren zu halten. Die beiden Männer verabschiedeten sich voneinander mit einer Umarmung. Das ganze Treffen hatte nicht länger als fünf Minuten gedauert. David blieb noch eine Weile auf der Parkbank sitzen und blickte seinem Freund hinterher. Er musste sich erst sammeln, seine bösen Ahnungen ver scheuchen. Jetzt fangen Belials Schergen also wieder an, mir meine Freunde zu nehmen.
Sir Lloyd Ayckbourn war ein liebenswürdiger älterer Herr mit dünnrandiger Brille, vollen Augenbrauen und schütterem grauem Haar. Er trug bevorzugt dunkle Nadelstreifenanzüge, zwängte sich aber hin und wieder auch in seine etwas enge Uniform. Wenn er lächelte und dann zum Sprechen ansetzte, erwartete man unwillkürlich die Worte »Es war einmal« als Einleitung zu einem anrührenden Märchen. Lloyd Ayckbourn leitete die Berliner Sektion des Secret Intelligence Service. Sein Deckname lautete »Väterchen«.
Offiziell bekleidete der aus der Grafschaft Yorkshire stammende Brite das Amt eines Militärattaches, eben das übliche für Agentenführer im Ausland.
»Sie müssen das so sehen«, erklärte er David bei einem ersten konspirativen Treffen im Zimmer 303 des Hotels Esplanade, »die britische Regierung ist außerordentlich wissensdurstig. Um dieses Bedürfnis zu stillen, brauchen wir Männer wie Sie, Mr Pratt. Als Journalist können Sie in viele Bereiche des öffentlichen Lebens vorstoßen, die uns verschlossen bleiben.«
»Mit der Freiheit der Berichterstattung ist es auch nicht mehr so weit her wie vor Hitlers Machtergreifung, Sir. Das Propagandaministerium achtet sehr genau darauf, welche Nachrichten das Land verlassen.«
Ayckbourn quittierte diesen gerechtfertigten Einwurf Davids mit einem großväterlichen Nicken. »Wir wissen das. Wenn Sie über die Stränge schlagen, sind Sie Ihre Akkreditierung los. Dennoch: Man ist sowohl in der Reichskanzlei als auch im Propagandaministerium zu der Überzeugung gelangt, dass die neue Regierung im Ausland dringend etwas Glanz benötigt. Deshalb haben Sie als Time-Korrespondent auch noch mehr Bewegungsspielraum als die deutsche Presse.«
»Dann wollen Sie also nur, dass ich Sie hin und wieder über meine Beobachtungen informiere?«, fragte David.
»So ist es, Mr Pratt.« Väterchen
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