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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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noch das Braunhemd sich einen Reim auf die neuen Parolen machen konnte – von denen ihm natürlich wieder einmal niemand etwas gesagt hatte –, war David schon im Geschäft verschwunden.
    »Wie geht es dir?«, fragte er Chaim besorgt.
    »Am liebsten würde ich den Laden gleich zumachen. Bis jetzt war erst ein einziger Kunde da. Der alte Ephraim. Er ist schwerhörig, deshalb hat er die Beschimpfungen und Drohungen des SA-Schergen da draußen auch nicht verstanden.«
    Ephraim Goldmann wohnte zwei Häuser weiter und störte manchmal die Kontroversen von Onkel Carl und Opa Heinrich durch völlig sachfremde Einwürfe. David nickte verständnisvoll.
    »Lass dich nicht unterkriegen, Chaim. Sie können ja schließlich nicht jeden Tag vor dem Geschäft stehen und die Leute vergraulen.«
    »Das hoffe ich auch. Bestimmt werden die Menschen bald aufwachen und sehen, was für ein faules Ei sie sich da mit Hitler ins Nest gelegt haben.«
    »Weißt du vielleicht, wie das Braunhemd da draußen heißt?«
    Chaim lachte freudlos. »Natürlich. Das ist Kurt Koslowski aus der Bergstraße. Hat mir früher immer stolz erzählt, dass er nicht mal in die Zeitung reinguckt. Aber Kinderbücher für seine Enkel kaufte er immer wieder. Vermutlich hat ihn seine Frau geschickt.«
    David nickte. »Verstehe. Noch so ein netter Nachbar, der plötzlich seine wahren Gefühle entdeckt. Warte! Wenigstens für heute kann ich dir diesen Gesinnungslump vom Halse schaffen.« Schnell verließ er den Laden und baute sich auf dem Trottoir freudestrahlend vor dem SA-Posten auf.
    Der, die Daumen im Hosenbund eingehakt, fragte barsch: »Warum jrinsen Se nu schon wieder, Sie Judenfreund?«
    Höflich entgegnete David: »Ich freue mich nur für Sie.«
    »Wolln Se mir etwa ablösen oder wat?«
    »Das ist gar nicht nötig. Sie dürfen auch so gehen.«
    »Nu wer’n Se mal nich frech, Sie…!«
    »Ruhig Blut, ich wollte Sie doch nur auf Ihren Abmarschbefehl dort hinweisen.« David deutete auf den untersten der beiden Anschläge.
    Der massige Aufpasser drehte sich schwerfällig um und glotzte auf das Plakat. Man hörte das Räderwerk seines Verstandes förmlich krachen, als er den Text verarbeitete.
     
    Kurt Kosloweki. Sofort in der Sammelstelle melden!
     
    »Scheint dringend zu sein«, sagte David leichthin.
    Kurt Koslowski riss sich von dem Schaufenster los und stierte den »Judenfreund« sekundenlang verständnislos an. Dann warf er sich herum und lief breitbeinig davon. Während er entschwand, hörte ihn David immer wieder staunend vor sich hin sagen: »Nee, wat is’ die Partei schlau!«
    Während Hitler am 4. April mit der Notverordnung »Zum Schutz des deutschen Volkes« zusätzliche Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit einführte, versuchte David weiter einen Keil zwischen den Regierungschef und seinen Stellvertreter Papen zu treiben. Aber der Vizekanzler wich seinen Schlägen aus, als könne er sie vorausahnen. Er trat sogar von seinem Posten als Reichskommissar für das Land Preußen zurück, um Hermann Göring Platz zu machen. War Papen etwa schon am Abtauchen, um später anderswo noch größeres Unheil stiften zu können?
    Hitler brauchte keinen Papen mehr. Am 7. April wurde der preußische Landtag aufgelöst, nachdem bereits am 31. März sämtliche Länderparlamente gleichgeschaltet, das heißt der Herrschaft der Nationalsozialisten unterworfen worden waren. Die Umformung des Reiches im Sinne der neuen Regierung machte rasche Fortschritte, was nun auch Davids Bruderschaft zu spüren bekam. Friedhelm Lauser war in den Augen des Regimes gleich dreifach vorbelastet. Erstens hatte er mit dem linken Flügel der Sozialdemokraten sympathisiert, zweitens in den letzten Jahren immer wieder Kritik an den Behörden und ihren lokalpolitischen Beschlüssen geübt und drittens gehörte er der Gewerkschaft an. Eine solche Person musste den Nazis zwangsläufig in höchstem Maße »undeutsch« erscheinen. Friedhelm war deshalb bereits Ende Februar untergetaucht.
    Nun, einen Monat später, hatte er sich ein letztes Mal mit David zu einem konspirativen Treffen im Körnerpark verabredet. Die ehemalige Kiesgrube zwischen der Berg- und der Hermannstraße eignete sich vorzüglich für Personen, die nicht schon von weitem erkannt werden wollten, also Liebespaare, Spione und dergleichen mehr. Die Anlage war ein so genannter Tiefpark – man musste an seinem Rand stehen, um hinein-, besser noch hinabsehen zu können. Mit einer Orangerie, Kaskaden und einem

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