Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
den dunkelbraunen Machenschaften des letzten Tages wusste. Die meisten seiner Informationen stammten von einem besorgten Katholiken, der ihn am Sonntagmittag aufgesucht hatte. Während Martin erzählte, hantierte er die ganze Zeit an seiner Wurzelholzpfeife herum.
Am Sonntag war offenbar eine Verhaftungswelle über ganz Deutschland geschwappt. In erster Linie hatte sie katholische Geistliche erfasst. Martin griff in die Brusttasche seines schwarzen Mantels und zog ein gefaltetes Blatt Papier hervor.
»Hier, lies. Du wirst dich wundern.«
David entfaltete den Zettel. Gruß und apostolischen Segen! , stand da als Überschrift. Erst stutzte, dann staunte er. Nicht nur die Botschaft überraschte ihn, auch die Wortwahl.
Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobachten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche…
»Das ist eine Enzyklika von Pius XI.«, erklärte Martin, der den Blick Davids missverstand. »Die erste und einzige in deutscher Sprache. Normalerweise pflegen die Päpste das Lateinische.«
David verblüffte etwas ganz anderes.
Es waren seine Worte, die da standen. Jedes päpstliche Rundschreiben wird nach dessen einleitender Phrase benannt. Die hier lautete: Mit brennender Sorge . Genau dieselben Worte hatte David bei seiner Privataudienz im Papstpalast gebraucht. Von Lorenzo Di Marco wusste er, dass die Unterredung Pius beeindruckt hatte. Irgendwie war er aber doch überrascht, aufweiche Weise dieser Same jetzt aufzugehen schien.
Aufgeregt las er den ganzen Text. Eine Stelle ließ ihn erneut stutzen.
Eine größere Sorge, ein herberes Hirtenleid haben Wir nicht, als wenn Wir hören: Viele verlassen den Weg der Wahrheit (vgl 2 Petr. 2 ,2).
Auch dieses Bibelwort aus der Feder Petri hatte David benutzt, wenn auch in einem ganz anderen Zusammenhang. Immerhin, Pius XI. schaltete sich ein. Traurig war nur der Anlass.
Aus Lorenzos Berichten ging hervor, dass Kardinal Pacelli dem deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl Dutzende von Protestnoten überreicht hatte. Hitler machte sich offenbar einen Sport daraus, die Vereinbarungen des Reichskonkordats zu brechen. David empfand nicht die geringste Genugtuung, als er sich in diesem Moment an seine warnenden Worte gegenüber Pacelli vom Mai 1930 erinnerte. Sicherheit war das Lieblingswort des Kardinals gewesen. Er hatte versucht sie durch ein schriftliches Regelwerk zu beschwören, unterschrieben von Partnern, für die Vertragsbruch zum politischen Handwerk gehörte.
Was alles hätte eine solche Enzyklika gleich nach Hitlers Machtergreifung bewirken können? Eine Antwort auf diese Frage musste Spekulation bleiben. Zumindest wäre es eine vorausschauende Tat gewesen, eine moralische Positionsbestimmung. Fast bedauernd las David die von Pius XI. unterzeichneten Sätze. Sie waren verklausuliert. Wortgewordenes Flechtwerk. Aber für einen Politiker wohl dennoch deutlich genug.
So wie Gottes Sonne über allem leuchtet, was Menschenantlitz trägt, so kennt auch Sein Gesetz keine Vorrechte und Ausnahmen. Regierende und Regierte, Gekrönte und Ungekrönte, Hoch und Niedrig, Reich und Arm stehen gleichermaßen unter Seinem Wort.
Leider nannte Pius hier weder die »Regierenden« – die Nazis – noch die »Armen« – die Juden – beim Namen.
Nur oberflächliche Geister können der Irrlehre verfallen, von einem nationalen Gott, von einer nationalen Religion zu sprechen, können den Wahnversuch unternehmen, Gott, den Schöpfer aller Welt,…in die Grenzen eines einzelnen Volkes, in die blutmäßige Enge einer einzelnen Rasse einkerkern zu wollen.
Starker Tobak. Eigentlich unmissverständlich, dachte David. Warum nur scheute sich Pius, Hitler offen zu rügen, und erging sich in weitschweifigen Andeutungen? Hatte ihm vielleicht jemand die Hand geführt, der die Sicherheit haben wollte, im letzten Moment noch alles abstreiten zu können?
»Was hältst du davon?«, fragte Martin, nachdem David ihm mit einem tiefen Seufzer das Blatt zurückgegeben hatte.
»Es ist mehr, als ich erwartet hatte.«
»Ich verstehe, was du meinst. Der Kniefall der katholischen Bischöfe vor Hitler ist offensichtlich. Selbst die evangelische Kirche verhält sich vorsichtiger. Bischof Bornewasser in Trier soll sogar versichert haben, dem nationalsozialistischen Staat ›zu dienen mit dem Einsatz aller Kräfte unseres Leibes und unserer Seele‹. Nun hat sein Heiliger Vater ihn blamiert.«
»Ich fürchte, jetzt wo sich Hitler durch die
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