Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
Freunden mit, er wolle in wenigen Tagen mit Rebekka über die Schweiz nach England heimkehren, um von dort möglicherweise bald nach New York weiterzureisen. Noch immer war Rebekka nicht ganz geheilt – vor allem ihr linkes Bein machte ihr zu schaffen – , aber eine völlige Beschwerdefreiheit würde sich vielleicht nie mehr einstellen. Sie hätten ihre Gastgeber schon viel zu lange in Gefahr gebracht und die judenfeindliche Stimmung im Land sei einfach zu unberechenbar, um noch länger zu warten.
Als es am 23. August 1939 zu einem Nichtangriffspakt zwischen der UdSSR und Deutschland kam, zögerte David nicht länger.
Der »Hitler-Stalin-Pakt« war für ihn der Startschuss. Jetzt hatte der »Führer« den Rücken frei, um seine Soldaten in einen neuen Krieg zu schicken. Die Frage war nur, wo dieser ausbrechen würde.
David saß gerade am Frühstückstisch – die Jubelpresse über den Hitler-Stalin-Pakt lag zusammengeknüllt unter dem Tisch –, da klopfte ein erschöpfter Telegrammbote an die Haustür der Aichingers. Er überbrachte folgende Eilnachricht:
lieber ludwig – stopp –
tante katharina laedt uns zur familienfeier ein – stopp –
erwarte euch, wie besprochen, am 3. September zum mittagessen – stopp –
gruss ferdi – stopp –
David war von dem Telegramm wie elektrisiert. Ferdinand Klotz hatte es also wirklich geschafft! Johannes Nogielskys Mutter »lud zu einer Familienfeier ein«. Das bedeutete nichts anderes, als dass sie sich in Hamburg treffen sollten. So hatten es David und Ferdinand bei ihrer letzten Zusammenkunft für den Erfolgsfall vereinbart.
In Davids Brieftasche befand sich die Adresse einer Zweizimmerwohnung im Hamburger Stadtteil St. Pauli, die Ferdinand als Stützpunkt für seine norddeutschen Erkundungsreisen diente.
»Ist diese Sache mit Johannes Nogielsky wirklich so wichtig?«, fragte Hermann, nachdem David ihm von dem Telegramm erzählt hatte.
»Ebenso wichtig, wie du mir warst, als ich dich im Schützengraben mit einem riesigen Loch im Kopf gefunden habe.«
Hermann nickte. »Verstehe. Dann wirst du also nach Hamburg fahren.«
»Die Stadt ist doch ideal, um sich von Deutschland zu verabschieden. Wir bekommen sicher irgendein Schiff, dessen Kapitän nicht so genau nach unserer Herkunft fragt. Zur Not habe ich immer noch meine Doppel-Pässe.«
»Eigentlich wolltet ihr aber doch in die Schweiz ausreisen?«, merkte Konstanze an.
»Diese Sache ist David sehr wichtig«, ergriff Rebekka für ihren Mann Partei. »Ihr wisst ja inzwischen, was damals in Nordfrankreich passiert ist.«
Hermanns Gesicht spiegelte seine tiefe Sorge wider. »Seid bitte vorsichtig. Der ländliche Frieden hier trügt. Die Welt draußen ist nicht besser geworden, seit ihr in dieses Refugium gekommen seid.«
Sturmzeiten
Am Sonntagabend bestiegen sie in Ulm den Nachtzug, der von München über Stuttgart nach Norden fuhr, bis nach Hamburg, dem Ziel ihrer Reise, wo sie am 28. August in aller Frühe eintreffen sollten.
Unmittelbar vor der Abreise hatte David noch einmal alles, was zu beachten war, wiederholt.
»Müssen wir unsere Pässe vorzeigen, benutzen wir unsere Zitronenidentität: Du bist Roberta Dean und ich dein Ehemann Albert. Alles klar?«
Rebekka war es längst gewohnt, ein Dutzend Namen im Kopf zu behalten. David hoffte nur, sie würde sie nicht in einem unpassenden Augenblick durcheinander bringen.
Kurz vor Morgengrauen lief der Zug im Hamburger Hauptbahnhof ein. David fielen die zahlreichen Soldaten auf, die mit ihrem Marschgepäck auf dem Bahnsteig warteten. Damit man später möglichst ihren Weg nicht nachverfolgen konnte, liefen sie zu Fuß in Richtung Osten. Ihr Gepäck bestand nur aus dem Nötigsten – Taschen mit ein paar Sachen zum Wechseln, den Schwertern und aus dem »Schatzkoffer«. Alles andere würde auf verschwiegenen Kanälen das Land verlassen und einer gewissen Londoner Anwaltskanzlei zugestellt werden. Anfang der Dreißiger Jahre hatte David wieder den Kontakt zu dem Büro aufleben lassen, als er sich in einer finanziellen Notlage zum Verkauf einer Immobilie hatte entschließen müssen.
Sie überquerten das Alsterfleet, einen schmalen Wasserweg, der die Binnenalster mit der Norderelbe verband, und liefen bald darauf die Uferstraße entlang, zu ihrer Linken die weiträumigen Kaianlagen des riesigen Hamburger Hafens. Das Gepäck wurde nun doch langsam schwer. Müde erreichten sie endlich die Lange Straße, in der sich Ferdinands
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