Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
führen, dass der Angriff dann eben irgendeine andere Stadt in Japan trifft: Fukuoka, Osaka, Kyoto, Nagasaki, Kagoshima. Ich weiß, dass euer Militär schon viel zu geschwächt ist, um sie alle beschützen zu können. Du musst endlich die Kapitulation erzwingen und deiner Göttlichkeit entsagen. Nur so kannst du die Katastrophe abwenden.«
Der Kaiser starrte noch immer die Regale an. Langsam begann er schließlich zu nicken. »Du sprichst die Wahrheit, mein Freund. Das spüre ich ganz deutlich. Ich werde sogleich nach Marquis Kido schicken, auf dass alles Nötige in die Wege geleitet wird.«
David atmete auf. »Du ahnst gar nicht, wie erleichtert ich bin.«
Hirohitos Gesicht blieb ernst, ja, es wirkte in diesem Moment fast wie versteinert. Mit einer Stimme, die David erschauern ließ, sagte er: »Vielleicht wirst du es gleich nicht mehr sein, wenn ich dir verrate, wem du mit deiner Warnung möglicherweise das Leben rettest.«
»Was…? Von wem sprichst du?«
»Ich wollte es dir eigentlich schon vorhin sagen, als du von Rebekkas Tod erzählt hast, aber ich hielt dich in diesem Moment für zu aufgewühlt, um die Nachricht verkraften zu können.«
Eine dunkle Ahnung stieg in David hoch. »Es gab nur einen Menschen in Nippon, dessen Tod ich herbeigesehnt habe, und der lebt nicht mehr.«
Kaiser Hirohito schüttelte ernst den Kopf. »Ich muss dich enttäuschen, David-kun. Du warst seit 1937 wie vom Erdboden verschluckt, sonst hätte ich es dir schon früher mitgeteilt. Dein Erzfeind ist noch am Leben. Er nennt sich jetzt Kantoro Toyama.«
»Little Boy«
Hoffentlich war Kinsaku Nakamura kein Kamikaze- Pilot. David saß in der zweisitzigen Mitsubishi-Maschine hinter dem jungen Major und blickte mit einem unguten Gefühl in die Tiefe. Unter ihm rasten die Wogen des Binnenmeers dahin. Hätte Nakamura einen etwas südlicheren Kurs genommen, wäre jetzt wohl Iyo-Saijo da unten aufgetaucht, jenes Fischerdorf, in dem David einst Ohei Ozaki, Toyamas ehemaligen Koch, aufgespürt hatte. Hiroshima war noch ungefähr siebzig Kilometer entfernt. In etwa fünfzehn Minuten würden sie auf dem großen Militärflughafen der Stadt landen.
Vor etwa zwei Stunden war Nakamuras Maschine in Tokyo gestartet, nicht einmal vier Stunden nach Davids Eintreffen im Kaiserpalast. Ohne die Hilfe des Tennos wäre ein Flugzeug samt Pilot nicht aufzutreiben gewesen. Die japanische Luftwaffe war praktisch zerstört und Treibstoff gab es auch so gut wie keinen mehr.
Als David erfahren hatte, dass Toyama noch lebte und ein riesiges Anwesen in Hiroshima bewohnte, war er minutenlang wie betäubt gewesen. Er hatte doch gesehen, wie Belials Lieblingsjünger in seinem Felsenpalast verbrannt war…! Aber dann schüttelte er seine Benommenheit ab und dachte gründlich nach. Das Letzte, was er damals mitbekommen hatte, war ein von Flammen umschlossener, in Panik geratener Toyama. Irgendwie musste es dem Schurken gelungen sein, sich in letzter Sekunde zu retten.
Diese Überlegung erfüllte David mit Zorn. Toyama durfte nicht ungestraft bleiben. Er hatte einfach zu viele Menschenleben auf dem Gewissen. Hirohitos Informationen stammten von Kidos Geheimdienst und David zweifelte nicht an ihrem Wahrheitsgehalt. Der Kopf der Amur-Gesellschaft lebe streng abgeschirmt als unbescholtener Bürger in Hiroshima, hieß es. Sein neuer Name zeigte wieder einmal einen Generationswechsel an – Kantaro Toyama sei angeblich der Sohn von Mitsuru.
Für David hatte es darauf kein Halten mehr gegeben. Er musste seinen alten Feind finden, bevor der von General MacArthur angekündigte »kleine Junge« in die Stadt kam.
Das Flugzeug setzte geradezu sanft auf. David bedankte sich bei Kinsaku Nakamura und erinnerte den Piloten unnötigerweise noch einmal an die Befehle des Tennos. »Warten Sie bis morgen um Mitternacht hier auf mich. Sollte ich dann noch nicht zurückgekehrt sein, können Sie allein zu Ihrem Heimatstützpunkt aufbrechen.«
Nakamura bestätigte die Anweisung und wünschte seinem Passagier viel Glück, wozu immer die Götter ihn auch hergeführt hätten.
Kaum der Maschine entstiegen, wurde David von einem Geheimdienstler namens Junzo Yamagishi in Empfang genommen. Yamagishi war ein kleiner Mann Ende dreißig mit spitzem Gesicht und einem dünnen Haarkranz auf dem Haupt. Er gehörte zum Mitarbeiterstab des kaiserlichen Geheimsiegelbewahrers Kido. Sobald David dessen Wagen bestiegen hatte, ein konfisziertes Privatfahrzeug, raste er wie ein
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