Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder
überrascht. Atemlos starrte er auf den Mönch. Ja, es war ein Jesuit, der da, kaum zwanzig Meter entfernt, zwischen hängenden Würsten und geräuchertem Schinken zu ihm herüberschaute. Geschaut hatte, denn in dem Moment, als ihre Blicke sich kreuzten, war er hastig in der Menge untergetaucht. Es musste schon dem Zufall hoch angerechnet werden, dass David es überhaupt in dem Wald aus Räucherwaren entdeckt hatte, dieses angespannte harte Gesicht mit der auffälligen Narbe, welche die linke Augenbraue in zwei Hälften teilte. Natürlich ließ sich nicht mit Sicherheit sagen, ob der Mann in der schwarzen Robe tatsächlich ein Mönch war, doch David zweifelte nicht im Geringsten daran, wem das augenfällige Interesse des hageren Mannes gegolten hatte.
»Wir nehmen den roten«, sagte David auf Italienisch zu dem Wollhändler. Sein drängender Ton ließ sowohl den Verkäufer als auch Rebekka stutzen.
»Was ist…?«, wollte sie fragen.
Doch David unterbrach sie. »Nicht jetzt, Bekka.« Er reichte dem Standbesitzer eine Banknote, nahm seine Frau bei der Hand und zog sie in die Menschenmenge. »Wir werden beobachtet«, raunte er.
»Von wem?« Sie blickte sich demonstrativ um.
»Nicht, Rebekka!«, zischte David. »Benimm dich unauffällig. Wir müssen fort von hier. Fort von Mailand.«
Der Dogmatiker
Die Rückkehr in Professor Leopardis Wohnung entwickelte sich zu einer komplizierten Übung. David fuhr mit Rebekka kreuz und quer durch die Stadt. Er wollte die oder den Verfolger abschütteln. Sofern ihm das nicht schon gelungen war. Er wusste es einfach nicht. Seit Paris hatte ihn ein vages Gefühl des Beobachtetseins gequält. Nun besaß er Gewissheit und fühlte sich noch elender. Wenn er sie doch wenigstens sehen könnte! Wer immer sie waren.
Möglicherweise wussten sie ja längst, wo er und Rebekka ihr Quartier bezogen hatten, was dieses ganze Katz-und-Maus-Spiel zu einer einzigen Farce machte. Und wenn es nicht so war? Nein, David wollte kein Risiko eingehen. Rebekka durfte nie wieder zum Spielball dunkler Mächte werden.
Wenn er nur wüsste, wer ihm da nachstellte! Gehörte der vermeintliche Mönch vom Marktplatz zur O.V.R.A. der gefürchteten Geheimpolizei der Faschisten, oder war er gar ein Spion des Kreises? Doch mit einer Sicherheit, die durch keine Vernunftgründe zu belegen war, wusste er, wen der heimliche Beobachter ins Visier genommen hatte.
Während das Paar im Bus durch Quarto Cagnino, einem von ihrer Wohnung weit entfernten Bezirk Mailands, fuhr, gab sich Rebekka die Schuld an der ganzen Aufregung. »Als ich die Schals anprobiert habe, wollte ich dich ein wenig aus der Reserve locken – der Kuss war so schön gewesen! Deshalb diese alberne Koketterie vor dem Spiegel. Bestimmt war der Mönch nur ein Voyeur.«
David küsste sie flüchtig auf die Wange. »Ich wünschte, es wäre so, Bekka.«
»Der Zölibat muss doch für einige unerträglich grausam sein. Unter der Kutte sind Mönche auch nur Männer.«
»Er hat mich beobachtet, Bekka. Unsere Blicke haben sich für kurze Zeit getroffen, was ihn ziemlich aus der Fassung brachte.«
Sie antwortete nicht sogleich. Aufgrund einschlägiger Erfahrungen waren ihr die Konsequenzen des Vorfalls natürlich ebenso klar wie David. Den Blick aus dem Busfenster gerichtet, sagte sie schließlich: »Und wohin werden wir diesmal fliehen?«
»Nach Rom.«
Davids Antwort war auffällig schnell gekommen. Rebekka drehte sich zu ihm. »Rom? Ich denke, du hast den Palatin abgeschrieben.«
»Vielleicht hat Brit auf dem Sterbebett in Wirklichkeit die Ewige Stadt gemeint, als er den Namen des Hügels erwähnte. Man spricht ja auch vom Bosporus, wenn man auf Konstantinopel anspielen will. Aber es ist auch kein Hügel, der mich nach Rom zieht: Ich will versuchen mit Kardinal Pacelli zu sprechen, wenn möglich sogar mit Pius XI.«
Rebekka blickte David erstaunt an. »Du willst eine Audienz beim Papst?«
»Ich habe ein Interview mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika geführt. Warum sollte mir das Gleiche nicht auch beim Präsidenten des Vatikans gelingen?«
»Pius ist kein Präsident.«
»Das weiß ich, Bekka. Es war nur ein Vergleich.«
»Und Eugenio Pacelli kein Kardinal.«
»Da irrst du, Liebes. Seit gestern ist er es. Ab Montag soll er sogar Pietro Gasparris Nachfolge antreten.«
»War das nicht letztes Jahr der Verhandlungsführer des Heiligen Stuhls bei der Klärung der römischen Frage?«
»So ist es. Mit den
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