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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Straße vor der SS auf dem Dachboden versteckt hatte, war er, wie er damals meinte, mit dem Hacken gegen eine Kiste gestoßen. Es musste sein eigenes Schattenarchiv gewesen sein, ebenjener Koffer, in dem sich auch Vaters Diarium, Jasons Träne, Johannes Nogielskys Brief und der Tartan aus Schottland befunden hatten, den nun Mia trug.
    Davids Enkelin berichtete mit großem Respekt von Katharina Nogielskys mutigem Verhalten. Bei der Untersuchung des Kofferinhaltes sei sie auf den Abschiedsbrief ihres eigenen Sohnes gestoßen. Spätestens jetzt habe sie alle Bedenken über Bord geworfen – wer einen Juden versteckte, konnte schnell selbst im KZ landen – und sich umso liebevoller um die fiebernde junge Frau gekümmert. Nach einigen Wochen ging es Rebekka wieder besser, aber ihre Erinnerung blieb größtenteils verschüttet. Wie durch ein Wunder behielt sie jedoch ihr Kind und so wurde am 1. Juni 1940 Dina, Mias Mutter, geboren. Rebekka wusste seinerzeit nicht einmal mehr, wer der Vater ihrer Tochter war.
    David entsann sich nur zu gut, wie langsam sich Rebekka nach dem Anschlag in München von ihren Verletzungen erholt hatte. Ohne jedes Selbstwertgefühl war sie monatelang für Davids Zärtlichkeiten so gut wie unempfänglich gewesen. Und dann kam diese für David unvergessliche Nacht, als er ihr wieder seine ganze Liebe schenken durfte. Dina war in den Stunden gezeugt worden, als der Zweite Weltkrieg seinen Anfang nahm.
    Nur sehr langsam, fuhr Mia fort, hätten sich Rebekkas Gedächtnislücken wieder geschlossen. Sie erzählte Dina von der großen Liebe zu David und von einem etwas eigenwilligen Heiratsantrag auf der Victoria Station in London. Und sie schrieb ihrem verschollenen Mann sonderbare Fähigkeiten zu, was so manchen an Rebekkas Verstand zweifeln ließ. Ansonsten machte sie aber einen ganz normalen Eindruck. Sie begann sich mit psychisch kranken Kindern zu beschäftigen. Mit ihrem Klavierspiel gelang es ihr, zur Seele ihrer traumatisierten kleinen Patienten vorzustoßen. Ein Jahrzehnt später war sie eine in Fachkreisen angesehene Musiktherapeutin.
    Anfang der Sechzigerjahre kehrten ihre Erinnerungen in größerem Umfang, wenn auch nicht ganz, zurück. Und nun suchte sie endlich nach ihrem Mann. David habe immer in ihrem Herzen gewohnt, berichtete sie Dina aufgeregt, nur die genaue Adresse sei ihr abhanden gekommen. Jetzt setzte sie alle Hebel in Bewegung, um ihn zu finden. Zwei Jahre später erhielt sie vom Pentagon einen Brief. Das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika drückte darin sein Bedauern aus und berichtete vom Tode ihres Mannes in den letzten Kriegswochen des Jahres 1945. David sei während einer geheimen Mission in Japan ums Leben gekommen.
    David war wie vom Donner gerührt. Er selbst hatte John F. Kennedy um den Gefallen gebeten, seine Agententätigkeit aus den Akten zu tilgen. Anscheinend war jemand im Pentagon sehr kreativ gewesen und hatte sich diese Geschichte ausgedacht.
    »Aber hat denn deine Großmutter niemals das Time-Magazin gelesen?«, fragte er mit flehender Stimme.
    »Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte Mia. »Sie hat Time nie erwähnt. Wie gesagt, ihr Gedächtnis ist lückenhaft. Bis heute…«
    »Rebekka lebt?«
    Mia nickte traurig.
    »Ja, Oma ist am Leben, aber es geht ihr nicht gut. Der Anruf aus der Redaktion – du wirst es nicht glauben, aber ich schreibe unter anderem auch für ein Wochenmagazin, genauso wie du…«
    »Was haben sie am Telefon gesagt, Mia?«
    Allein die Erinnerung daran ließ Mia frösteln. Sie schlang den Tartan enger um die Schultern. Ihre tränenverhangenen Augen flohen Davids Blick. »Es ist sehr ernst, Großvater. Ich habe sofort einen Flug nach Deutschland gebucht. Noch heute Abend werde ich…«
    »Vielleicht nur eine vorübergehende Schwäche. Sie ist immerhin neunzig Jahre alt.«
    »Ich möchte dir keine falschen Hoffnungen machen. Die Nachricht von deinem Tod hat sie 1965 nur mit Mühe verkraftet, aber als Mama und Papa am 21. Dezember 1988 über Lockerbie abstürzten, brach ihr Herz entzwei. Sie wollte nicht mehr mit Kindern musizieren und ist seitdem immer schwächer geworden, immer stiller. Ich glaube…«
    »Lockerbie?«, unterbrach David seine Enkelin abermals voller Entsetzen. Wie betäubt schüttelte er den Kopf. Sein Gesicht war kreidebleich.
    »Ja«, sagte Mia leise. »Du erinnerst dich sicher an den Anschlag. Mama und Papa wollten von Frankfurt über London nach New York fliegen. Sie hatten sich die Reise zu

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