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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Seine Knie waren weich. Auf wackligen Beinen ging er wie ein Schlafwandler auf die junge Frau zu, die ihm den Rücken zukehrte. Als er unmittelbar hinter ihr zum Stehen kam, spürte sie seine Gegenwart und drehte sich plötzlich um.
    Nein, es ist nicht Rebekka. David fühlte sich betrogen. Diese Frau konnte kaum fünfundzwanzig sein. Aber die Ähnlichkeit! Er starrte in das ebenmäßige bronzefarbene Gesicht, das seinen Blick ernst und nachdenklich erwiderte. Er versank in den jettschwarzen Augen. Und begann zu wanken.
    »Vorsicht!«, stieß die junge Frau auf Englisch hervor, sprang auf und griff nach seinem Ellenbogen. »Ist Ihnen nicht gut?«
    Am Nachbartisch saßen zwei alte Jungfern, dem Aussehen nach Amerikanerinnen, die Davids skandalösem Schwächeanfall ihre ganze Aufmerksamkeit widmeten. Für sie war er nur ein dreister Schürzenjäger auf der Pirsch.
    David schloss die Augen und schüttelte den Kopf, um das grausame Trugbild loszuwerden, aber als er die Fremde erneut anzublicken wagte, war sie immer noch da. »Ehrlich gesagt könnte es mir besser gehen. Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?«
    Die Jungfern am Nachbartisch tuschelten. Auch der jungen Frau kam diese Frage zumindest verdächtig vor. Sie taxierte David streng, ließ dann aber Milde walten. Auf den Stuhl neben sich deutend, sagte sie: »Na klar. Hier, bitte nehmen Sie Platz, Herr…«
    »Gladius, Veit Gladius«, stellte sich David vor.
    »Sie sind Deutscher?«
    »Österreicher käme der Wahrheit näher.«
    »Lustiger Zufall!«, sagte die junge Frau plötzlich auf Deutsch – und zur Enttäuschung der aufmerksamen Tischnachbarinnen. Sie lächelte, doch es war jene Freundlichkeit, die man einem Fremden schenkt, der einen gerade aus tiefer Versunkenheit gerissen hat.
    »Aber Sie müssen aus der Bundesrepublik kommen«, deutete David den Akzent der Frau.
    »Entschuldigen Sie, ich bin ein bisschen zerstreut heute Morgen. Ja, ich wurde im schleswig-holsteinischen Heide geboren, wenn Ihnen das etwas sagt. Mein Name ist Mia Rosenbaum.«
    Ein neuer Schwindelanfall überkam David. Halt suchend riss er die Arme nach vorne und fegte dabei die Teetasse der Deutschen vom Tisch. Ein Schwall ergoss sich über die kurzärmelige kiwigrüne Bluse und die Khakihosen Mia Rosenbaums. Kopfschütteln und missbilligende Blicke am Nachbartisch begleiteten das Spektakel. Auch andere Gäste des Restaurants interessierten sich nun für den weißhaarigen Casanova und sein unschuldiges Opfer.
    »Was ist nur mit Ihnen?«, fragte die Deutsche verärgert, während David unbeholfen mit einer Serviette an ihr herumtupfte. Schnell hatte sie ihm das Tuch entrissen, warf es auf den Frühstücksteller und blickte ihn eindringlich an.
    Diese Augen! David war nicht mehr Herr seiner Sinne. »S-Sie…«, stotterte er. »Sie heißen… wirklich Rosen baum?«
    »Haben Sie etwas gegen jüdische Namen?« Die Stimme der jungen Frau gewann an Schärfe.
    »N-nein… Nicht doch! Meine Frau war ebenfalls eine geborene Rosenbaum.«
    Schlagartig änderte sich der Ausdruck in Mia Rosenbaums Gesicht. Sie nahm David nun in Augenschein, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Sekundenlang ruhte ihr Blick auf seinen schneeweißen Haaren, bevor sie endlich leise und mit unsicherer Stimme fragte: »Herr Gladius… Kennen wir uns irgendwoher?«
    Er blickte kurz zu den beiden Jungfern hinüber, dann beugte er sich zu der jungen Frau vor und raunte: »Ich habe das Gefühl, Sie in- und auswendig zu kennen. Sie tragen den Tartan der Familie Murray of Atholl…«
    »Die Klimaanlage hier im Restaurant ist viel zu kühl eingestellt. Ich…«
    »Wie kommen Sie zu diesem seltenen Stück?« David deutete auf das Schultertuch.
    »Meine Großmutter hat’s mir geschenkt. Na ja, ehrlich gesagt hab ich’s mir nur ausgeborgt, aber mit ihrem Einverständnis. Wieso?«
    David schauderte. Er schloss die Augen, um nicht doch noch vom Stuhl zu fallen. Alles um ihn herum drehte sich. Selbst die finster dreinblickenden Jungfern wirbelten herum wie Hexen in der Walpurgisnacht.
    Als der Schwindel nachgelassen hatte, fragte er ganz vorsichtig, als wage er es kaum, dem Unaussprechlichen Worte zu geben: »Heißt Ihre Großmutter mit Vornamen Rebekka?«
    Mia Rosenbaums Gesicht erglühte jäh wie unter rosarotem Licht. Über ihre nackten Unterarme huschte eine Gänsehaut. Ihre schwarzen Augen schienen den Fremden durchbohren zu wollen. Sekundenlang saß sie nur da, mit offenem Mund, nicht glauben wollend, was ihr Herz längst

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