Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
einer großen Überraschung erzählt und dass sie sich nicht aufregen soll.«
    »Ist sie… Ich meine, geht es ihr…?«
    »Sie ist schwach, aber völlig klar. Und nun geh endlich. Ihr habt lange genug ohne einander auskommen müssen.«
    Zaghaft trat David an die Tür. Er glaubte den Duft von Bienenwachs und Lavendel wahrzunehmen. Und zögerte vor dem nächsten Schritt – der über siebzig Jahre zurückliegende Heiratsantrag war ihm leichter gefallen. Endlich fühlte er sich stark genug und ließ die Tür langsam aufschwingen.
    Das Schlafzimmer besaß zwei kleine Fenster, durch die das Licht verschwenderisch hereinflutete. Auch hier gab es einen Dielenboden, einen alten, aber liebevoll restaurierten Bauernschrank, getrocknete Blumen… Und das große Bett mit Rebekka.
    Sie trug ein weißes Nachthemd mit Plisseefalten über der Brust. Auch ihr Haar war schneeweiß, aber noch immer voll, und stürzte wie ein unbändiger Wasserfall über das Kopfkissen. Und sie sah so klein aus! Wie ein Mädchen. Obwohl ihr Gesicht voller Runzeln war, hatte es für David nichts von seiner Schönheit verloren. Die dunklen Augen sahen ihn fragend an.
    Langsam bewegte er sich über die knarrenden Dielen auf sie zu. Die Luft schien ihm wie elektrisiert zu sein, der Moment so voller Spannung, dass ihm die Härchen auf den Armen zu Berge standen. Er wagte nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen, als könne Rebekkas Bild dadurch für alle Zeit verscheucht werden.
    Und so brach sie endlich das Schweigen.
    »David!«
    Ungläubiges Staunen wie auch grenzenloses Glück sprachen aus Rebekka. So hinfällig sie eben noch erschienen war, so lebendig fuhr sie jetzt aus den Kissen hoch. Ihre Hände reckten sich ihm entgegen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Komm!«, hauchte sie. »Halt mich, damit ich es glauben kann.«
    David überbrückte die letzte Kluft zwischen ihnen, ließ sich auf die Bettkante sinken und fiel in ihre ausgebreiteten Arme. »Rebekka! Du bist wieder bei mir. Oh, Rebekka, Rebekka…!« Wieder und wieder nannte er ihren Namen, als könne allein das ihr schon neuen Lebensmut geben. Seine Tränen tränkten ihr Nachthemd und er machte sich nicht das Geringste daraus.
    Später konnte er nie sagen, wie lange sie so ineinander versunken gewesen waren, wie oft er ihren Namen wiederholt und wie viele Tränen er noch vergossen hatte. Irgendwann lösten sie sich endlich aus der Umarmung und David zog das kleine Päckchen aus der Jackentasche.
    »Was hast du da?«, fragte Rebekka und ihre Augen leuchteten wie früher, wenn David sie mit kleinen Aufmerksamkeiten überrascht hatte.
    »Du musst es auspacken, dann weißt du es.«
    Rebekka lächelte und über ihrer Nase erschienen dutzende neuer Fältchen. Mit flinken Fingern entfernte sie die blaue Schleife und das rote Papier. Darunter kam eine Pappschachtel zum Vorschein. Sie hob den Deckel und machte große Augen. »Was ist das?«, fragte sie staunend und entnahm dem Kästchen ein schmales röhrenförmiges Etwas von intensiv orangeroter Färbung.
    »Das ist eine sehr alte Karneolperle aus dem Industal. Ein Freund mit dem Namen Yar Muhammad Ali hat sie mir einmal geschenkt. Ich wollte sie damals erst gar nicht annehmen, weil ich meinte, sie sei nur einer Prinzessin würdig. Aber Yar hat nur lächelnd erwidert, die Welt sei voller Prinzessinnen, man müsse nur genau hinsehen, um sie zu erkennen. Zur gegebenen Zeit würde ich wissen, wem ich sie schenken könne. Er hat Recht behalten. Endlich habe ich meine Prinzessin wiedergefunden. Und ich werde sie nie mehr allein lassen.«
    Rebekkas liebevoller Blick wanderte über Davids Gesicht. Und dann – ohne dass ihr Lächeln auch nur eine Spur nachließ – sagte sie etwas, das seinem Herzen einen Stich versetzte. »Für eine kleine Weile musst du mich noch einmal gehen lassen, Liebster. Danach werden wir für immer vereint sein. Aber sei nicht traurig darüber. Ich habe keine Angst vor dem Einschlafen. Nichts kann mir nun mehr Furcht einjagen.«
    Rebekka schlief am Abend des 5. Januar 1996 ein, ganz still und friedlich, wie ein Kerzenlicht, das unter einer gläsernen Glocke verlischt, David hatte sie auf ihrem letzten Weg begleitet.
    Kurz bevor sie für immer die Augen schloss, flüsterte er ihr ein schon einmal gegebenes Versprechen ins Ohr. »Selbst wenn die Erde sich zwischen uns teilte, wenn der Abgrund des Todes uns trennte, wird unsere Liebe nie zerrissen werden. Das schwöre ich dir.«
    Sie lächelte, drückte seine Hand und hörte

Weitere Kostenlose Bücher