Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
geprägt.
»In den Zwanzigerjahren haben die Schüler im Outback noch pedalgetriebene Funkgeräte benutzt, um mit ihren Lehrern in Kontakt zu treten. Wir hatten zu meiner Schulzeit schon einen Generator«, entsann sich Davy.
»Ja, aber auf deinem Heimtrainer hast du trotzdem in die Pedale getreten und Grimassen geschnitten, während dir die Englischlehrerin die Leviten gelesen hat«, versetzte Bruce.
»Ich würde gerne noch etwas frische Luft schnappen«, sagte Mia. »Gibt’s da draußen Wildhunde, die einen zerfleischen wollen, oder kann man gefahrlos eine Runde drehen?«
»So genau weiß man das nie«, antwortete Davy. »Am besten packe ich meine Handgranaten, Jagdmesser und Schrotflinten ein und komme mit. Bruce hat mir von einem Nachzügler erzählt, ein schwarzes Lämmchen, das gestern zur Welt gekommen ist. Es kränkelt ein wenig, deshalb haben wir es drüben im Stall. Wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen.«
Mia bedachte den gleichmütig lächelnden Gastgeber mit einem langen prüfenden Blick, der Davy einen roten Schimmer auf die Wangen trieb.
»Na, ich kann die Handgranaten und Gewehre ja im Schrank lassen. Notfalls verteidige ich Ihr Leben mit dem Messer.«
Mia musste unweigerlich schmunzeln. »Also gut, Sie Held. Dann zeigen Sie mir mal Ihr schwarzes Schaf.«
»Sie ist ein nettes Mädchen«, sagte Kathy, als die beiden verschwunden waren.
»Ach, das haben Sie bemerkt?«, fragte David mit gespielter Verwunderung, um jedoch schnell hinzuzufügen: »Davy gefällt mir auch. Sie haben einen Prachtjungen aus ihm gemacht.«
»Oh, danke.« Kathy schlug schamhaft die Augen nieder.
»Bist du jetzt tatsächlich verlegen?«, staunte Bruce. »Ich glaube, das habe ich die letzten zwanzig Jahre nicht erlebt.«
Die drei plauderten noch eine ganze Weile, bis David endlich darum bat, sich zurückziehen zu dürfen. Die lange Reise – er sei sehr müde. Das äußerlich so verschiedene, aber wunderbar miteinander harmonierende Ehepaar entschuldigte sich für seine Unhöflichkeit und Bruce brachte den Gast noch bis an die Tür der Gästewohnung.
Allein ging David dann auf die Terrasse hinaus, um vor dem Einschlafen noch ein paar Atemzüge von der kühlen Nachtluft zu nehmen. Nach alter Gewohnheit verzichtete er auf Festbeleuchtung im Wohnzimmer. Seine Sekundenprophetie würde ihn schon warnen, wenn in der Dunkelheit Hindernisse auftauchten. Eine Zeit lang blickte er zum Sternenhimmel empor. Hier, fernab von größeren Städten und Industrieanlagen, war das Firmament ungewöhnlich verschwenderisch dekoriert. Mit einem Mal hörte er leise Stimmen.
Es waren Davy und Mia. In einiger Entfernung spazierten sie hinter dem Haus herum. Bald konnte David sie auch verstehen.
»Es muss wunderschön sein, hier draußen in der Natur zu leben«, sagte Mia gerade. Jede Anspannung war aus ihrer Stimme gewichen.
»In erster Linie ist es harte Arbeit«, erwiderte Davy.
»Ein romantischer Mensch scheinen Sie nicht gerade zu sein.«
»Das täuscht, Mia. Ich halte Arbeit für etwas Ehrenvolles. Mit den Tieren in der Nacht auf der Weide, das kann durchaus romantisch sein. Aber es ist auch aufregend zuzuschauen, wie die Schafscherer im Akkord unseren Blökern die Pullover ausziehen. Und wenn manche dann verdutzt auf die Weide zurücklaufen, als seien sie sich ihrer Nacktheit plötzlich bewusst geworden, könnte man glatt Tränen lachen.«
»Sie lieben dieses Land, nicht wahr, Davy?«
Der hohe Schatten des Farmbesitzers blieb stehen und wandte sich dem kleineren der jungen Frau zu. »Ja, ich liebe es. Obwohl ich in der ganzen Welt herumkomme und oft wochenlang in Sydney zu tun habe, bin ich doch jedes Mal wieder aufgeregt, wenn mein Flugzeug den Zaun von Billabong meadows überfliegt.«
»Darum beneide ich Sie.«
»Dann habe ich Sie endlich überzeugt, dass ich nicht so ein unausstehliches Scheusal bin, wie Sie anfangs gedacht haben, Mia?«
Als hätte sie sich zu weit geöffnet, wurde sie plötzlich wieder die unnahbare junge Frau und erwiderte: »Woher wollen Sie wissen, was in meinem Kopf vor sich geht, Mr Pearson? Und behandeln Sie mich nicht ständig wie eines dieser blöden Lämmer, das Sie nur wegen Ihrer blauen Augen anschmachtet. Gute Nacht.«
Mit langen Schritten stapfte Mia über die Wiese auf die Terrasse zu. Davy schien ihr noch einen Moment nachzublicken, schüttelte dann den Kopf und verschwand hinter einer Reihe von Büschen.
In ihrem Zorn bemerkte Mia den Großvater nicht. Sie wollte gerade durch die offen
Weitere Kostenlose Bücher