Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
vergessen, mein Handy leise zu stellen.«
Er griff in die Hemdtasche und förderte ein winziges Telefon zutage.
»Ja?«
Je länger das Telefonat dauerte, desto blasser wurde sein Gesicht. Davids Antworten fielen ziemlich knapp aus. Hin und wieder stellte er eine kurze Frage. Zuletzt schloss er mit den Worten: »Wir kommen sofort zurück.«
»Was ist passiert?«, fragte Mia, nachdem ihr Großvater die Unterbrechungstaste gedrückt hatte.
David blickte betroffen in die Runde. Er nahm einen Schluck Orangensaft. Erst dann fühlte er sich stark genug, um die ungeheuerliche Neuigkeit zu verkünden.
»Das war Lorenzo. Eben ist in der Gelben Festung eine Bombe hochgegangen. Das Gebäude ist völlig zerstört.«
Davy hatte sich spontan entschlossen seine beiden Gäste zu begleiten. Nein, er wollte sie nicht nur nach Sydney fliegen, damit David und Mia umgehend in die Vereinigten Staaten zurückkehren konnten, ihm ging es darum, Lord Belial, Kelippoth, oder wer immer für den Bombenanschlag verantwortlich war, selbst zu entlarven und der gerechten Bestrafung zuzuführen. Er fühle sich schuldig, wurde Davy nicht müde zu wiederholen. Ohne seinen Artikel würde Davids ehemaliges Hauptquartier in New York noch stehen.
Zum Glück hatte niemand ernstlich Schaden genommen. Die Bombe war am späten Nachmittag explodiert, als sich nur wenige Personen in dem ehemaligen Lagerhaus aufgehalten hatten. Immerhin: Ruben und zwei andere Künstler waren leicht verletzt worden. David fühlte einen unbändigen Zorn in sich aufsteigen.
Die Fahndung nach Lucius Kelippoth sei an keinen Ort gebunden, hatte Davy erklärt. Er werde seine elektronische Grundausstattung mitnehmen und könne sich jederzeit über Satellit in die Computer der Farm einwählen, um gegebenenfalls deren ganze Kapazität zu nutzen.
Wieder zurück in New York fuhr David als Erstes ins Krankenhaus, um Ruben zu besuchen. Der Maler hatte einige Schnittwunden am linken Arm sowie eine Prellung am Bein. Nur wegen seines Alters – der kleine Künstler wurde demnächst sechsundachtzig – befand er sich noch unter ärztlicher Aufsicht. David fragte ihn nach irgendwelchen verdächtigen Vorkommnissen vor dem Anschlag.
Ruben machte ein saures Gesicht. »Am Morgen vor der Explosion bin ich in unserem Hof über einen Penner gestolpert. Jedenfalls dachte ich zuerst, es wäre einer.«
»Und jetzt glaubst du das nicht mehr?«
Ruben schüttelte den Kopf. »Irgendetwas stimmte nicht mit dem Kerl. Er trug standesgemäß einen schäbigen Mantel und abgewetzte Schuhe, aber irgendwie kam er mir… zu sauber vor.«
»Wie sah er aus?«
»Groß – ein Riese! Die gleichen weißen Haare wie du, aber rote Augen.«
»Ein Albino?«
»Offenbar.«
»Der Kerl dürfte nur ein Handlanger Belials gewesen sein. Es hat wohl wenig Sinn, ganz New York nach einem Albino-Riesen abzusuchen. Die Aufrechterhaltung unserer Tarnung hat Priorität.«
»Wir müssen die Farm evakuieren«, sagte David, als Mia, Davy und er sich in Westport mit Lorenzo berieten.
»Ich habe zwar gewusst, dass die Agentur Truth eine Nachrichtenfarm betreibt, aber noch nichts darüber veröffentlicht«, gab Davy zu bedenken.
»Davids Einwände sind trotzdem nicht von der Hand zu weisen«, widersprach Lorenzo. »Seit vierzig Jahren ist Truth unsere Tarnung, eine Maske, die wir offen zur Schau getragen haben, um unser wahres Tun dahinter zu verbergen. Zwar war die Gelbe Festung immer das offizielle Hauptquartier der Nachrichtenagentur, aber es dürfte nicht schwer sein, herauszufinden, wo die eigentliche Arbeit verrichtet wurde.«
»Und wohin sollen wir umziehen?«, fragte Kim, die mit Dee-Dee ebenfalls an der Krisensitzung teilnahm.
»Ich habe doch noch das Anwesen auf Staten Island«, dachte David laut nach. »Ich schätze, für die nächsten sieben Monate können wir uns inmitten all der Millionäre dort ganz gut verstecken.«
»So viel Dreistigkeit traut uns vermutlich keiner zu«, sagte Mia nickend. Ihrer ernsten Miene war abzulesen, wie sehr schon die bloße Andeutung von Davids baldigem Lebensende ihr zusetzte.
Lorenzo klatschte in die Hände. Für einen Fünfundneunzigjährigen war er immer noch erstaunlich agil. »Dann schlage ich vor, wir packen hier alles zusammen und machen uns aus dem Staub. Ich werde den Abtransport des Equipments, der Unterlagen und Möbel sowie all der anderen kleinen und großen Dinge überwachen. Du, David, fährst am besten sofort nach Staten Island und kümmerst dich mit
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