Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Antwort liefern.«
Mark Kalder war erst Mitte dreißig, wie Davy erzählte, also für einen Professor erfreulich jung. Auch in anderer Hinsicht entspreche er nicht unbedingt dem Klischeebild von einem Hochschullehrer: Er sei penibel bis in die Haarspitzen und überhaupt nicht abgehoben. Na ja, gelegentlich neige er schon zu Abschweifungen und unverständlichen Erläuterungen, aber eben selten. Außerdem sei er ein Hypochonder – überall wittere er verkappte Angriffe auf sein Immunsystem. Das sei insofern schwer nachzuvollziehen, weil er kerngesund aussehe, ja mit seinen ein Meter achtzig und dem athletischen Körperbau sogar an einen Schwimmolympioniken erinnere.
David musste lächeln. Er konnte sich gut vorstellen, wie sein Schwiegerenkel und der Superhacker in Berkeley so manchem Mädchen den Kopf verdreht hatten.
Vom Flughafen Tegel aus fuhren sie mit dem Taxi direkt zur Technischen Universität. In David stiegen viele alte Erinnerungen auf. In dieser Stadt hatte er mit Rebekka glückliche und düstere Tage erlebt. Das war lange her.
Mark Kalder wurde in einem Wust von Kabeln und elektronischen Bauelementen entdeckt. Auf die Bitte, das modernste Sicherheitssystem der Welt zu knacken, reagierte Kalder zurückhaltend, schien fast entrüstet zu sein. Er legte ein Messgerät zur Seite und sagte: »Das können wir nicht in der TU machen. Lasst uns zu mir nach Hause fahren.«
In Mark Kalders Volvo ging es dann quer durch die Stadt, über die derzeit als Autobahn fungierende Rennstrecke Avus, bis zu einer alten Villa in der Tristanstraße. Das Arbeitszimmer des Professors – er nannte es scherzhaft »Chaos« – war denn auch ein seltsamer Kompromiss zwischen Antiquitätensammlung und High-Tech-Schmiede.
David erklärte, worum es ging. Das von einem gebürtigen Schweizer geleitete Unternehmen GenOz stehe im Verdacht, einen hochgefährlichen Krankheitserreger entwickelt zu haben, der die Existenz allen irdischen Lebens bedrohe.
Am Ende des kleinen Vortrages war Mark Kalder gleichermaßen entrüstet wie motiviert. »Wir werden diesen Skandal aufdecken«, beschloss er und machte sich an die Arbeit.
Es war eine wahre Freude – selbst für Davy – , dem Deutschen bei der Arbeit zuzusehen. Im Vergleich zu Mias Ehemann klimperte er eher bedächtig auf den Tastaturen seiner verschiedenen Computer herum, aber ihm schien nie eine Fehleingabe zu unterlaufen. Beharrlich gingen seine zehn Finger ihrer Aufgabe nach, bis das GenOz-Bollwerk schließlich zum Einsturz gebracht war.
Rechtzeitig warnte er seine Auftraggeber: »Gleich bin ich drin. Dann bleiben mir nur ein paar Minuten, um mich umzusehen. Ihr seid also bloß an diesem ›Racheengel‹ interessiert?«
»Wir müssen wissen, wie das Teufelszeug wirkt, ob es einsatzbereit ist oder sogar schon angewendet wurde, und falls es wirklich ein Erreger ist, ob es einen Impfstoff oder irgendein anderes Gegenmittel gibt.«
»Schon verstanden«, bestätigte Kalder, ohne vom Bildschirm aufzusehen. Kurz darauf murmelte er: »Bin ich schon drin?« Um sich gleich darauf selbst zu bestätigen: »Ich bin drin!«
Fasziniert verfolgte David die auf der Tastatur tanzenden Finger. Kalder rührte kein einziges Mal die Computermaus an. Für jede Funktion kannte er die entsprechenden Kurzcodes auf seiner Klaviatur. Mehrmals öffneten sich Statusanzeigen mit Prozentangaben und länglichen Rechtecken, die sich allmählich mit farbigen Balken füllten – Daten wurden »abgesaugt«, wie Kalder das nannte. Zuletzt hämmerte er auf die Tastatur, als gelte es während eines Computerspiels den König der Aliens in ein Schwarzes Loch zu schubsen, um den letzten Bonuspunkt zu ergattern. Dann war plötzlich Ruhe und der Professor wie erstarrt.
»Hat er’s geschafft?«, fragte David.
Davy nickte. »Er ist immer noch der Beste!«
Langsam kam wieder Leben in den König der Hacker.
Er drehte sich in seinem ledernen Chefsessel zu David um und sagte lächelnd: »Davy kopiert sich die Daten am besten auf sein Notebook. Ich kann Euch nicht sagen, was wir diesem Zauberer von Oz entrissen haben, aber auf jeden Fall dürfte der ›Racheengel‹ die längste Zeit ein Geheimnis für euch beide gewesen sein.«
Da zwei Linienflugtickets nach New York erst für den nächsten Tag zu bekommen waren, nahmen David und Davy dankbar die Einladung des Professors an, in dessen Haus zu übernachten. Beim Abendessen lernten sie auch die übrige Familie kennen, seine äußerst charmante Gattin Viviane und einen etwas
Weitere Kostenlose Bücher