Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Technischen Universität in Berlin.«
»Könnte er das Sicherheitssystem von GenOz knacken?«
Davy überlegte kurz. »Ja«, sagte er dann einfach.
»Und würde er es tun, wenn du ihn darum bittest?«
»So ein Hack ist eine ziemlich riskante Sache, David. Mark hat Frau und Tochter. Ich kann dir nicht sagen, ob er sich heute noch zu seinen alten ›Tugenden‹ bekennt.«
Davids Miene war hart geworden. »Hier geht’s nicht nur um die Familie dieses deutschen Professors, sondern um die ganze Menschheit. Mach einen Termin mit deinem alten Kommilitonen aus. Wir fliegen nach Berlin und ich rede mit ihm. Bestimmt findet er mich sympathisch und kann mir nicht widerstehen.«
»Ich weiß, diese Bitte kommt für dich sicherlich ziemlich überraschend, zumal jetzt, wo wir bestimmt Besseres zu tun haben, aber mir läuft die Zeit davon und es ist mir wirklich wichtig.«
David errötete, für einen lebensweisen Greis eher ungewöhnlich. Davy blickte den Großvater seiner Frau hilflos an. Die zwei befanden sich auf dem John-F.-Kennedy-Flughafen und erwarteten den Aufruf ihres Fluges.
Nach reiflichem Zögern sagte der junge Mann kopfschüttelnd: »Das kann ich nicht.«
»Wieso denn nicht? Du hast doch schon viele Artikel veröffentlicht. Ich weiß, dass du schreiben kannst.«
»Aber deine Lebensgeschichte, David! Das ist«, er suchte verzweifelt nach Worten, »zu wichtig, als dass ein Stümper wie ich sich damit beschäftigen sollte. Frag doch Mia. Sie ist nicht nur dein eigen Fleisch und Blut, sondern auch eine hervorragende Journalistin.«
»Ihr könntet die Biografie ja gemeinsam verfassen. Es wäre mir wirklich sehr wichtig, Davy. Wenn sich bei euch einmal Nachwuchs einstellt, dann soll der kleine Racker wissen, woher er kommt, was seine Wurzeln sind.«
Davy blickte David immer noch zweifelnd an. Aber schließlich schüttelte er lächelnd den Kopf und seufzte. »Dir kann man ja sowieso nichts abschlagen. Also gut. Ich mache es, wenn Mia mir hilft. Wir nehmen deine Erinnerungen am besten auf Video auf und schreiben anhand dessen eine Zusammenfassung. Aber versprich dir keine Wunder. Das Jahrhundertkind wird keinen ›Jahrhundertroman‹ bekommen – das ist und bleibt Ulysses von James Joyce.«
David grinste zufrieden. »Ich weiß. Ist schon komisch, wenn man bedenkt, was für einen Wirbel das Buch in meiner Jugend verursacht hat.«
Die USA Today hochhaltend, die Davy kurz zuvor an einem Kiosk gekauft hatte, fügte er warnend hinzu: »Und den Literaturnobelpreis darfst du von uns auch nicht erwarten. Den hat gerade Günter Grass eingestrichen.«
Das Lächeln verschwand von Davids Lippen. Er starrte mit schräg gelegtem Kopf auf die Zeitung in Davys Hand, genauer gesagt auf eine Schlagzeile.
ATOMUNGLÜCK IN
WIEDERAUFBEREITUNGSANLAGE
VON TOKAIMURA
»Zeig mal her.« David entriss seinem zukünftigen Biografen das Blatt. Voll unguter Ahnungen las er den Bericht. Am 30. September hätten die Arbeiter der japanischen Atomfabrik während des Umwandlungsprozesses von Uran-Gas in Pulver plötzlich ein blaues Licht gesehen, hieß es dort. Der Verdacht wurde geäußert, die zulässigen Bearbeitungsmengen seien deutlich überschritten worden. Die unmittelbar Betroffenen seien offenbar erheblich stärker verstrahlt als die während einer Atombombenexplosion auf dem Bikini-Atoll 1954 zufällig ins Testgebiet geratenen Fischer, berichtete das Blatt. Noch war man um Schadensbegrenzung bemüht. Die freigesetzte radioaktive Wolke werde aufgrund der günstigen Wetterbedingungen Tokyo höchstwahrscheinlich verschonen.
»Woran denkst du?«, fragte Davy eine knappe Stunde später. Die Stewardessen arbeiteten sich mit ihrem Verpflegungskarren gerade durch die Sitzreihen.
»Ich frage mich, ob das Schlimmste noch verhindert werden kann.«
»Du meinst die Verstrahlung von Tokyo?«
»Ja und nein.« David schüttelte ärgerlich den Kopf. »Ach, ich weiß es selbst nicht genau, Davy. Mir geht einfach der Giftgasanschlag dieses Gurus nicht aus dem Kopf. Zum Glück hat das japanische Militär sofort eine Einheit zur Bekämpfung von Chemieunfällen nach Tokaimura geschickt. Vielleicht war es von mir doch nicht verkehrt, die Verantwortlichen rechtzeitig zu warnen. Jetzt scheinen die Krisenpläne wenigstens zu greifen.«
Davy schüttelte unwillig den Kopf. »Der Sarin-Anschlag und dieser Atomunfall – worin besteht da der Zusammenhang?«
David seufzte. »Das kann ich dir nicht sagen. Ich hoffe, dein deutscher Freund wird uns die
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