Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
seit 1945 ungefähr sechzig ernsthafte Unfälle in Nuklearanlagen gegeben. Selbst wenn wir jetzt noch einmal davongekommen sind, wird die globale Katastrophe eben beim nächsten Mal ausgelöst. Was spielt das schon für eine Rolle? Ich habe verloren und Belial gewonnen. Das ist eine Tatsache.«
Betretene Blicke im Wintergarten. Niemand wagte etwas zu erwidern. Fast niemand.
»Vielleicht irrst du dich.« Der Einspruch kam von Mia.
David sah seine Enkelin an. »Wie meinst du das?«
Sie lächelte verlegen. Wie um Beistand suchend ergriff sie Davys Hand. »Na, überleg doch mal. Shoku Asaharas Anschlag war vor vier Jahren. Wenn sich der ›Racheengel‹ wirklich so rasend schnell ausbreiten würde, müsste längst ganz Japan von ihm befallen sein, auch die Arbeiter, die in der Atomfabrik kontaminiert wurden. Man hat sie in eine Spezialklinik nach Chiba gebracht. Eigentlich müsste die Bevölkerung dort längst an dem Mega-AIDS zugrunde gegangen sein. Aber nichts von alldem ist passiert.«
David brauchte einen Moment, um das Gesagte zu verarbeiten. »Ich wünschte, ich könnte glauben, alles sei nur ein böser Spuk gewesen.«
Davy sah schon wieder etwas zuversichtlicher aus. »Die Dokumente, die wir aus dem GenOz-Netzwerk abgezweigt haben, lassen zwar keinen Zweifel daran, dass ›Racheengel‹ einsatzbereit und durch die Jünger dieses Asahara freigesetzt worden ist, aber die Wissenschaftler in Dittmanns Firma könnten sich im Hinblick auf die Unverwüstlichkeit des Virus getäuscht haben. Möglicherweise – ziemlich wahrscheinlich sogar – hat ihn irgendetwas unwirksam gemacht.«
Ein diebisches Grinsen stahl sich auf Dee-Dees Lippen. »Das bedeutet dann ja wohl, wir sind wieder im Rennen.«
»Freut euch nicht zu früh«, widersprach David: »Wir wissen nicht, wann und wo der Virus in den letzten vier Jahren noch überall freigesetzt wurde. Der nächste auch noch so kleine Atomunfall kann unser aller Ende bedeuten. Ich möchte nur wissen, was der Grund für Lucius Solas starkes Interesse an der Concorde ist.«
Der Kreis der Dämmerung
Der Weltuntergang war vielfach vorhergesagt. Nur über die Art und Weise seines Stattfindens schienen sich die Unheilspropheten noch uneinig. Manche hatten sich enttäuscht gegeben, als es bei der totalen Sonnenfinsternis, die am 11. August über Europa hinweggezogen war, weder zu einem Massensterben gekommen war noch sich Außerirdische gezeigt und einen Schlussstrich unter das Leben auf dem Planeten Erde gezogen hatten. Auch andere Megakatastrophen wie der Einschlag von Riesenmeteoriten oder der Ausbruch des dritten Weltkrieges blieben aus. Die Propheten zogen also kleinlaut die Köpfe ein und verschoben das Weltende flugs auf die nächste günstige Gelegenheit.
Die stand eindeutig mit dem Jahreswechsel bevor. Wenn das große Zählwerk der Geschichte auf 2-0-0-0 einrastete, dann war endgültig Schluss mit dem unbekümmerten Leben auf Mutter Erde, ja, mit jeglichem Leben überhaupt. So jedenfalls weissagten es die flexibleren unter den Unglückspropheten. Dabei störte sie wenig, dass eigentlich erst im Jahr 2001 das neue Jahrtausend begann. Wenn man bedachte, dass der Namensgeber der so unheilträchtigen Zeitrechnung – Jesus Christus – wegen eines klerikalen Rechenfehlers im Mittelalter schon zwei, sechs oder – je nach Historiker – sogar sieben Jahre vor der Zeitenwende geboren worden war, dann hatte das neue Millennium ohnehin längst begonnen. Und nichts war passiert.
David ließ sich von der Millenniumshysterie nicht anstecken. Dahinter stünden sowieso zum größten Teil Profitgier und im Übrigen Aberglauben, beides nicht unbedingt seine Domänen. Gleichwohl gehörte er aus inzwischen hinlänglich bekannten Gründen zu den eifrigsten Sammlern von Weltuntergangstheorien. Für ihn war das dräuende Ende der Menschheit allerdings kein großes Mysterium, sondern eine sehr reale Gefahr, die auf eine sehr reale Person mit einem sehr realen Plan zurückging. Auf Belial und seinen Jahrhundertplan.
Die Tage flogen dahin. Der Silvesterabend stürzte geradezu heran. Und noch immer war nicht klar, wie Belial und seine beiden Jünger ihren Plan doch noch verwirklichen wollten.
Obwohl Davy und Mia eigentlich nicht der Sinn danach stand, opferten sie viele Abende ihrem neuen Hobby: der videotechnischen Dokumentation von Davids Erinnerungen. Während die kleine Kamera seine »Lebensbeichte« aufzeichnete, machte sich das Paar noch zusätzlich Notizen. Längst
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