Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
war die anfangs als lästig empfundene Arbeit für sie zu einem abenteuerlichen Streifzug durch das Leben des vielleicht am wenigsten beachteten Helden des zwanzigsten Jahrhunderts geworden.
Ganz nebenbei kümmerten sie sich aber auch noch um andere Dinge.
»Ach, übrigens, wir bekommen ein Kind.«
Mias Strahlen war ansteckend. Die Kamera hielt fest, wie sich auf Davids eben noch nachdenkliches Gesicht ein breites Lächeln stahl. »Und das sagst du so ganz nebenbei?«
Davy und Mia fassten sich an den Händen. »Wir dachten, die Nachricht würde dir Mut machen, Großpapa. Deine Biografie wird mindestens schon mal einen Interessenten finden, abgesehen von uns beiden natürlich.« Sie wechselten einen vielleicht nicht sehr intelligenten, aber dafür umso verliebteren Blick.
»Und wie sie mich anfeuert!«, bestätigte David strahlend. »Jetzt habe ich noch einen gewichtigen Grund mehr, Belials Ränkespiel zu durchkreuzen.«
Je näher der Silvesterabend rückte, desto mehr stellten sich alle auf den Notfall ein. Ein letztes Mal warf der Publizist David Pratt das ganze Gewicht seiner in Jahrzehnten geknüpften Beziehungen in die Waagschale. Er informierte Staatsmänner, Militärs, Industrielle, Beamte und zahlreiche andere einflussreiche Personen über einen bevorstehenden Terroranschlag. Leider seien die genauen Umstände dieser in seiner Dimension einmaligen Verschwörung noch ungeklärt, man müsse sich also auf alles gefasst machen.
Offiziell wurden viele der eingeleiteten Schutzmaßnahmen mit dem Y2K-Problem erklärt: Man fürchte, die supergescheiten Computer und Mikrochips könnten beim Sprung ins neue Jahrtausend in den Generalstreik treten. Einige hielten Davids Warnungen tatsächlich nur für die überzogene Panikmache eines technikfeindlichen Anachronismus auf zwei Beinen. Alle seine Bemühungen, die anlässlich der Millenniumsfeiern geplanten Sonderflüge der Concord-Überschallflugzeuge zu verhindern, schlugen fehl. Die Passagierflitzer kosteten ohnehin schon viel zu viel, und wenn tatsächlich einige Zeitgenossen für die lächerliche Gebühr von zweiundsiebzigtausendachthundert Dollar in luftiger Höhe dreimal auf das neue Jahrtausend anstoßen wollten, sollte man sie nicht daran hindern. Ungefähr so lautete die David erteilte Absage. Wenigstens wurde versprochen, sich um verschärfte Sicherheitskontrollen zu kümmern.
»Es hat keinen Zweck«, sagte David am Vorabend des Jahreswechsels. Er fühlte sich unendlich müde. Alle Gedankenspiele über die »irrwitzige Alternative«, die ihn noch bei Mias Hochzeit beschäftigt hatten, kamen ihm nur noch wie die Wunschträume eines unreifen Knaben vor. Die Wiedervereinigung mit Rebekka würde in einem sehr stillen Rahmen stattfinden, in Grabesstille, um genau zu sein.
David straffte seine Schultern. »Morgen wird Lucius Sola in seinem Wolkenkratzer ein gigantisches Kostümfest geben. Maskiert kann ich unerkannt in das Gebäude gelangen. Und wenn es das Letzte in meinem Leben ist: Ich werde mich mit ihm unterhalten und dieses Geheimnis aus ihm herausquetschen.«
Der letzte Tag des alten Millenniums war von dem Medienzaren für den Börsengang seines Kindes Phosphoros auserkoren worden. Weshalb Sola diesen Aufwand trieb, wenn doch die Welt, wie sie bisher existiert hatte, vierundzwanzig Stunden später ohnehin vergehen würde, war nicht ganz klar. Vielleicht spiegelte sich ja in dem als »rauschendstes Fest im Big Apple« angekündigten Event jene unerklärliche Exzentrik wider, die Belials Jünger so zu gefallen schien. Möglicherweise bereitete die verborgene Ironie dieses Ereignisses – die High Society feierte ihren eigenen Untergang – Kelippoth sogar ein sadistisches Vergnügen.
Die Stimmung in dem Landhaus auf Staten Island befand sich auf dem Tiefpunkt. Bereits Anfang der Woche hatte David sich vom größten Teil seiner Bruderschaft verabschiedet. Sollte er die Katastrophe verhindern, würden sie weiter für Truth arbeiten können. Davy und Mia würden die Nachrichtenagentur zukünftig leiten. Alle testamentarischen Angelegenheiten waren schon seit Wochen geregelt.
Der harte Kern – neben Davids Familie noch Kim, Dee-Dee, Lorenzo und Ruben – saß im beheizten Wintergarten des Landhauses und kämpfte gegen den deprimierenden Gedanken an, dass selbst ein Erfolg ihres Unternehmens mit dem Tod der Hauptperson enden würde. David versuchte die anderen etwas abzulenken.
»Solas Idee mit dem Kostümfest ist ziemlich praktisch. Ich werde als
Weitere Kostenlose Bücher