Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
japanischer Samurai auftreten. Unter dem Helm erkennt man mich nicht und die Schwerter wird man für dekorative Attrappen halten.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass die japanischen Fürsten hundertjährige Krieger beschäftigt haben«, murrte Mia.
»In der Ausrüstung kann man leicht das Mikrofon und den Sender verstecken«, sagte Davy. Auch er war niedergeschlagen, verbarg jedoch seine Gefühle hinter einer Maske der Geschäftigkeit. Man hatte beschlossen David zu verkabeln. Da zumindest die Möglichkeit bestand, dass Kelippoth ihm ernstlichen Schaden zufügte, wollte man auf jeden Fall alles Gesagte mitschneiden. Selbst wenn David getötet werden sollte, konnten auf diese Weise noch rettende Informationen an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden.
»Wird Lucius Sola seinen Wolkenkratzer nicht von einem Sicherheitsdienst bewachen lassen?«, gab Dee-Dee zu bedenken. »Wenn du mit deinem katana durch den Metalldetektor läufst, wird er losläuten wie die Glocken des Petersdoms.«
»Das lass nur meine Sorge sein«, sagte David.
»Mir ist immer noch nicht ganz klar, wie du vorgehen willst«, grübelte Kim. »Wenn du Sola mit deinen Schwertern bedrohst, kann er höchstens auf ziemlich schnelle Weise das Leben verlieren. Sollte er seinen Herrn verraten, droht ihm vermutlich ein wesentlich qualvolleres Ende. Was machen wir, wenn Kelippoth sich als eine nicht zu knackende Nuss erweist? Immerhin ist er ein gewissenloser Kerl – der Anschlag von Tokyo hat das bewiesen.«
»Darin liegt seine größte Schwäche«, sagte David mit ausdruckslosem Gesicht.
»Ich verstehe nicht ganz…«
»Es ist doch im Grunde ganz einfach, Kim, Kelippoth wird mich – so kurz vor dem Ziel seiner Wünsche – töten wollen.« David lächelte mit einem Mal. »Und ich werde es ihm gestatten.«
Der Vormittag des 31, Dezember 1999 hielt für David und seine sechs Freunde eine schreckliche Überraschung bereit. Man hatte ausgeschlafen oder es zumindest versucht – niemand hatte in dieser Nacht wirklich länger als ein, zwei Stunden Ruhe finden können. Beim Frühstück im herrschaftlichen Esszimmer war man noch einmal die Checkliste der Ausrüstungsgegenstände durchgegangen. Jeder wusste, was er zu tun hatte.
Mit einem Mal wurde David kreidebleich und starrte auf die Standuhr, die der Besprechung mit ihrem monotonen Pendelschlag den Takt vorgegeben hatte. Mia fiel die Veränderung zuerst auf.
»Was ist mit dir, Großvater?«
Mit heiserer Stimme antwortete David: »Es ist zwei Minuten vor zehn.«
Sechs Köpfe wandten sich der Uhr zu. »Ja und?«, fragte Mia.
»In ein paar Sekunden beginnt in Tokyo das neue Jahr.«
Siedend heiß wurde allen Beteiligten klar, was das bedeutete.
Lorenzo sprach die entsetzliche Wahrheit aus: »Davids einhundert Lebensjahre laufen jeden Moment ab.« Seine Hand fiel kraftlos auf die Tischplatte und ließ das Geschirr scheppern. »Dass wir daran nicht gedacht haben!«
Es wurde fürchterlich still im Wintergarten. Alle starrten David an, als könne er jeden Augenblick vor ihnen zu Staub zerfallen.
»Ihr müsst die Sache allein durchziehen«, sagte er. Das Pendel schwang hin und her, her und hin.
»Aber das kann ich nicht glauben!«, protestierte Mia. »Du bist das Jahrhundertkind. Der Auserwählte! Warum das Ganze, wenn du am Ende doch wegen dieser blöden Zeitzonengeschichte scheitern sollst?«
Tick, tack, tick, tack… Die Wanduhr war unbestechlich.
»Mia hat Recht«, sagte Ruben. »Als die Legende des seiki no ko geboren wurde, hat sich niemand über solche Dinge den Kopf zerbrochen.«
Tick, tack, tick, tack…
»Vielleicht ist alles nur eine hübsche Gutenachtgeschichte«, schlug Mia vor. »Sieh dich doch an, Großpapa. Man würde dich ja kaum für fünfzig halten. Biologisch gesehen…«
»Mia!«, fiel David seiner Enkelin sanft ins Wort. »Nicht! Lasst uns diesem Augenblick würdevoll entgegensehen.«
Tick, tack, tick, tack-gong!
Alle zuckten zusammen, als das Läutwerk die volle Stunde verkündete, und wandten ihre Gesichter David zu. Jetzt musste es geschehen. Gleich würde er vom Stuhl fallen, sich auflösen, irgendetwas in der Art.
Viermal ertönte der Gong. Anschließend zählte eine hellere Glocke die Stunden. Quälend langsam, wie es schien. Dann verhallte der zehnte Schlag.
David saß immer noch auf seinem Stuhl. Er war ein bisschen blass, sah aber sonst erfreulich lebendig aus. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er zum Ziffernblatt der Wanduhr
Weitere Kostenlose Bücher