Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Eingesperrtsein in den engen Überschallpassagierflugzeugen des Typs Concorde war ihm zwar nicht fremd, aber es brachte ihn trotzdem jedes Mal an den Rand einer Nervenkrise. Als das schlanke weiße Flugzeug mit über vierhundert Stundenkilometern von der Piste des John-F.-Kennedy-Flughafens abhob und er in den Sitz gepresst wurde, kam er sich vor wie ein Spaceshuttleastronaut.
Die dreiköpfige Besatzung auf seine Seite zu ziehen war für den Wahrheitsfinder kein allzu großes Problem gewesen. Die Männer hatten natürlich nichts von Belials teuflischem Plan gewusst.
»Es hieß, wir sollten irgendetwas Illegales transportieren, das am Zielort ziemliches Durcheinander anrichten könnte«, entschuldigte sich der Flugingenieur.
David fragte die drei, ob sie bei einer Bestechungssumme von einer Million Dollar pro Nase nicht irgendwie misstrauisch geworden seien.
»Nö«, hatte der Pilot geantwortet, »bei solchen Beträgen bin ich grundsätzlich sehr vertrauensselig.«
Als David ihnen dann die Dimension des Anschlags begreiflich gemacht hatte, waren die drei Männer fast von ihren Stühlen gefallen. Aus einem nun nicht mehr zu klärenden Grund hatte Lucius Kelippoth bei der Auswahl der Flieger auf militärische Eliteausbildung Wert gelegt. Alle drei Besatzungsmitglieder waren erfahrene Fallschirmspringer. Dieser Umstand – sowie eine detaillierte Beschreibung der Zustände in texanischen Straflagern aus General Stubbarts Mund – hatte die Mannschaft dann davon überzeugt, dass der Absprung bei etwas mehr als dreihundert Stundenkilometern durchaus zu wagen war. Der Captain wusste auch schon, wie sie es machen würden.
»Im Ladedeck gibt es eine nach unten führende Luke. Ich programmiere den Autopiloten so, dass die Maschine eine möglichst enge Kurve fliegt. Die Fliehkräfte werden den Ausstieg erleichtern. Sie müssen nur die Luke nachher wieder schließen, Mr Pratt. Alles Weitere übernimmt der Autopilot. Er wird sie über die Wolken bringen und auch später das Landemanöver über dem Meer einleiten. Wir haben den ganzen Vorgang ja gründlich durchgesprochen. Sie wollen diese Sache wirklich durchziehen, oder?«
David hatte nur genickt.
»Sie haben wirklich Mumm, Mr Pratt.«
»Vielleicht bin ich nur ein Riesendummkopf.«
Die vier Rolls-Royce-Turbinen dröhnten und noch immer gingen David die eigenen Worte nicht aus dem Sinn. Nur ein Riesendummkopf! Hatte er wirklich alles bedacht? Oder war ihm ein entscheidender Fehler unterlaufen? Immerhin ging es bei diesem Flug darum, Lord Belial von der Erde zu vertreiben.
David blickte durchs Fenster auf die Lichter einer für ihn namenlosen kleinen Ortschaft hinab. Sein Weg war lang gewesen, einhundert Jahre lang. Er hatte unzählige Spuren verfolgt und die wahre Bedeutung mancher von ihnen erst Generationen später verstanden. Seine Hände umklammerten den Lederbeutel mit Jasons Träne. Was hatte er nicht alles auf sich genommen, um in den Besitz dieser Glaskugel zu gelangen! Anton Fresenius’ Stimme hallte durch seinen Geist. Der Heidelberger Bibliothekar hatte das Vermächtnis Jasons entdeckt und übersetzt.
Zwölf Ringe der Macht waren dem Fürsten eigen: Elf gab er uns, seinen Dienern, damit wir die Zeit besiegen, ihn im Lichte der Tränen rufen und er uns beherrschen kann. Doch der, den er selbst behielt, ist mächtiger als alle anderen. Wird er in Gegenwart des Fürsten zerstört, so kann das Böse gebannt und das im Ring eingeschlossene Gute befreit werden…
David blickte aus dem Fenster. In sechs Tagen würde Vollmond sein. Hoffentlich reichte die silberne Sichel aus, um den Schattenlord »im Lichte der Träne« herbeizurufen. Seine Hand wanderte zur Brust, zum Fürstenring an der Kette. Lorenzo hatte einmal gesagt, er könne nur durch ein besonderes Feuer vernichtet werden. Erst in dieser Nacht, im Angesicht von Lucius Kelippoth war David klar geworden, dass wirklich nur ein Feuer dieses vermaledeite Ding verbrennen konnte: die nukleare Flamme.
Einstein hatte ihm einmal erzählt, auf der Sonne explodierten, bildlich gesprochen, unablässig Atombomben. Diesem natürlichen Licht – das ja auch von der Mondoberfläche reflektiert wurde – konnte selbst der mächtige Fürstenring Belials nicht widerstehen. Und damit war der durch den Verlust seines Schattens verwundbar gewordene Schattenlord selbst ein Diener der Himmelskönigin geworden. Kein Wunder, dass der Kreis der Dämmerung über all die Äonen hinweg immer eng mit dem Kult der
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