Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
sie Anfang März dem Moped auf der Route 202 bis zu dem Kiosk gefolgt waren, hatten sie das nicht eben imposante Haus bereits gesehen. Es befand sich nur ungefähr hundert Meter hinter der Bude und sechzig von der Hauptstraße entfernt. Im Wesentlichen entsprach es der Beschreibung des von Alberto ausgehorchten Malers: solide, eingeschossig, Flachdach, Ziegelwände, kein Verputz. Auffällig waren die schweren Türen und Schlösser. Bis auf eine erbärmliche Hütte nur wenige Meter hinter dem Eichmannklotz gab es kein Gebäude mehr in der nächsten Nachbarschaft.
»Nicht ungünstig für unsere Pläne«, merkte Zvi zufrieden an.
»Und Eichmann? Wie ist er?«, fragte David aufgeregt.
Anstatt zu antworten, zückte der Mossad-Agent einige Schwarzweißfotos. Sie hätten eine Kamera in einer Aktentasche versteckt, einen Fernauslöser angebracht und damit diese Bilder gemacht, berichtete er stolz.
Der erste Schnappschuss zeigte einen jungen Mann, den David bereits kannte. Es war Dieter. Vom nächsten Bild blickte David das ernste Gesicht einer jungen Frau an. Sie besaß einen Schmollmund, dunkles kurzes, welliges Haar und ein kleines rundes Kinn. Zvi beschrieb sie als Margarita, die Ehefrau von Klaus Eichmann. Und dann kam er selbst: Adolf Eichmann.
Der Obersturmbannführer war schmächtig, mit einer hellen weiten Windjacke bekleidet. Mitten in seinem Gesicht saß eine große Brille, auf der Oberlippe ein eher unterentwickelter Schnurrbart. Die Nase war Durchschnitt, weder besonders groß noch klein, nicht gerade schmal, aber auch nicht knollig. Seine Stirn befand sich im Vormarsch auf den Hinterkopf, das Kinn dagegen auf der Flucht. Auf fast allen Bildern bleckte er die Zähne wie ein Kaninchen.
»Und das soll einer der gefährlichsten Handlanger Hitlers sein?« Davids Verwunderung war echt. Im Vergleich zu Adolf Eichmann erschien selbst Franz von Papen als respektable Gestalt. Irgendwie kam ihm diese nichts sagende Persönlichkeit wie eine Notlösung Belials vor.
»Was hast du erwartet, David? Einen Außerirdischen mit Rüssel und Fühlern? Einen ausgemergelten Penner?«
»Natürlich nicht. Simon Wiesenthal hat mir einmal gesagt, Massenmord in großem Maßstab erfordere einen sozial angepassten Täter. Ich weiß auch nicht, was ich mir vorgestellt habe. Jedenfalls auf keinen Fall das da.« Er deutete verächtlich auf die Fotos.
»Du musst so schnell wie möglich dieses Hotel räumen«, kam Zvi endlich auf den operativen Teil des Unternehmens zu sprechen. »Freunde haben uns in der Stadt zwei Häuser zur Verfügung gestellt. Nach der Entführung werden wir Eichmann in eines davon bringen. Das zweite dient nur als Ausweichmöglichkeit. Im Moment wohnt jeder Agent in einem anderen Hotel. Ich habe mit Rafi Eitan gesprochen, dem neuen Operationschef. Für dich ist bereits eine Unterkunft angemietet worden, in die du am besten gleich umziehst.«
»Damit ihr mich besser unter Kontrolle habt und ich keine Dummheiten anstelle?«
»Ab jetzt befinden wir uns in der heißen Phase, David.«
»Schon gut. Ihr seid die Profis in diesem Geschäft und bestimmt die Spielregeln. An dein anderes Versprechen muss ich dich ja wohl nicht erinnern?«
Der Agent schüttelte den Kopf. »Du wirst deinen Ring bekommen, David.«
Das Operationsteam des Mossad bestand aus zehn Personen. David nicht eingerechnet. Man duldete ihn, aber willkommen war er nicht.
Zvi Aharoni hatte seine Diplomatentarnung abgelegt. Nun trat er als deutscher Geschäftsmann auf Seine Oberlippe zierte ein etwas ausgefranst wirkender Schnurrbart. Die Haare hatte er sich in den letzten Wochen wachsen lassen. David bediente sich einmal mehr der Veit-Gladius-Identität. Seinem Freund zuliebe stutzte er sich den Schnurrbart, lehnte weitere Veränderungen an seinem Äußeren jedoch entschieden ab.
Dem Team gehörten Experten für Verhörtechniken, Waffen und Sprengstoff, Nahkampf, Automobile, Logistik, Verfolgungsjagden und medizinische Notfälle an. Sogar Isser Harel, der Geheimdienstchef persönlich, war nach Buenos Aires gekommen, hielt sich jedoch weitgehend im Hintergrund. Der im Team auffällig oft als »Zwerg« bezeichnete Mossad-Direktor wollte nur im Notfall zugegen sein, um Rafi Eitan, den Leiter des Operationsteams, überstimmen zu können.
Eitans Eltern stammten aus Russland. Im Mossad hatte sich der Vierunddreißigjährige vor allem als tüchtiger Organisator einen Namen gemacht. Für die Rolle des Einsatzchefs war er genau der Richtige, ein
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