Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
souveräner Anführer, ein Macher im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Mannschaft war handverlesen, jeder ein Fachmann auf seinem Gebiet.
Da war zum Beispiel Zvi Malachin. Er verstand sich auf die punktuelle Anwendung von Gewalt. Mit anderen Worten, er konnte ordentlich zupacken. Dieses »Talent« sollte er insbesondere an Adolf Eichmann unter Beweis stellen. Zvika, wie der gebürtige Pole von allen im Team genannt wurde, hatte die Statur eines hundertjährigen Zedernbaumes und den Gesichtsausdruck eines Bernhardiners. Zu seinem Repertoire gehörten nicht nur körperliche Zwangsmittel, er kannte sich auch mit allen Arten von Explosivstoffen aus. Geistige Höchstleistungen waren dagegen weniger seine Stärke. Ja, im Umgang mit Fremdsprachen tat er sich sogar ziemlich schwer. Als Zvi und David versuchten ihm einige Brocken Spanisch – zur Kontaktaufnahme mit der Zielperson – beizubringen, hatte Zvika seine Lehrmeister bald an den Rand der Verzweiflung manövriert. Selbst einfachste Phrasen wie »Entschuldigen Sie bitte!« oder »Können Sie mir sagen, wie spät es ist?«, wollten sich ihm nicht erschließen. Zu den wohl größten Leistungen der Operation »Eichmann« muss der didaktische Erfolg gezählt werden, den sich Zvi und David anrechnen durften, als sie dem Hünen das Wort momentito eingehämmert hatten: »Einen Moment bitte.«
Eine Begabung ganz anderer Art hatte Yitzhak Nesher. Er besaß ein enormes Gespür für Landfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Ihm oblag die Aufgabe, den Fuhrpark für die Aktion zusammenzustellen. David erzählte ihm die nette Geschichte von einem argentinischen Mietwagen, der in einem Leichenzug stecken geblieben war. Die ortsüblichen »Ruinen der Landstraße« waren ein ernst zu nehmendes Risiko für ihr Vorhaben. Der Mossad-Agent unterzog auf den Wink hin die von ihm aufgespürten Automobile einer Generalüberholung. Für Eichmanns Abtransport war eine große schwarze, überaus seriös wirkende amerikanische Buick-Limousine vorgesehen. Eine zweite Gruppe musste sich mit einem etwas bescheideneren Untersatz begnügen. Yitzhak hielt einen schwarzen Chevrolet für angemessen.
Das Problem von Eichmanns Überführung nach Israel war auf eine besondere Weise gelöst worden. Dem Nazi wurde ein Flug in der Maschine des israelischen Außenministers Abba Eban genehmigt. Es traf sich gut, dass Argentinien gerade den einhundertfünfzigsten Jahrestag seiner Unabhängigkeit feierte. Ebans Delegation sollte am 19. Mai mit einem Sonderflug der israelischen Staatslinie El Al einschweben. Während der Minister und seine Begleiter einen acht- bis zehntägigen diplomatischen Parcours zu bewältigen hatten, würde die ansonsten als normale Linienmaschine genutzte »Britannia« nach Israel zurückkehren. An Bord sollte sich auch ein erkranktes Crewmitglied befinden, das – für israelische Verhältnisse ungewöhnlich – früher einen hohen Rang in der SS bekleidet hatte. In groben Zügen war das der Plan.
Die Aktion wurde auf Mittwoch, den 11. Mai 1960, festgesetzt. Zwei Tage vorher räumte das Team alle Hotelzimmer, teilte sich in zwei Gruppen auf und bezog die jeweiligen konspirativen Domizile. David und sein israelischer Freund wurden der Einsatzgruppe Tira zugeordnet. Das bedeutete »Palast« und bezeichnete ein frei stehendes Haus in Kilmes, einem Stadtteil von Buenos Aires. Sobald das Kommando Eichmann in seine Gewalt gebracht hatte, sollte Zvi mit dem Verhör des Nazis beginnen. Wenn möglich, wollte man von dem Deutschen eine freiwillige schriftliche Einverständniserklärung für seine Verbringung nach Israel und die Eröffnung eines gegen ihn gerichteten Verfahrens bekommen.
Als endlich der Mittwoch heraufzog, waren alle von den Vorbereitungen erschöpft und dennoch aufgeregt, als hätten sie Aufputschmittel genommen. Selbst David blieb von der Nervosität des Teams nicht verschont. Noch nie hatte er ein Mitglied des Kreises der Dämmerung auf derart professionelle Weise gestellt. Und noch nie war sein Anteil daran so gering gewesen. Er hoffte nur, dass die Agenten in ihren verschiedenen Szenarien kein wichtiges Detail vergessen hatten.
Am Vormittag wurden noch einmal sämtliche Fluchtwege kontrolliert. Gab es Baustellen oder Straßensperren? Alles sah normal aus. Unzählige Bahnübergänge mussten passiert werden – waren hier gerade Reparaturarbeiten im Gange? Aber nichts dergleichen. Sowohl die Haupt- als auch die Ausweichrouten waren frei. Die Spannung wuchs.
Als David am Abend
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