Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Präsidenten am 20. Januar 1961 hatte sich die Jugend der Vereinigten Staaten vor allem durch Orientierungslosigkeit ausgezeichnet. Zu Kanonenfutter wie im Korea-Krieg wollte sich keiner mehr verarbeiten lassen. Das Geldverdienen und -ausgeben, wie es die Eltern vormachten, war auf Dauer auch nicht sehr aufregend. Die junge Generation von Amerikanern entdeckte daher das Fernsehen für sich. Da war ständig etwas geboten. Und es wurde einem gesagt, was richtig und was falsch war. Den Eltern fehlte dafür ja die Zeit.
David beobachtete diese Entwicklung schon seit Jahren voller Sorge. In jungen Jahren hatte er einmal von einer Helena Petrowna Blavatsky gelesen, die von einer Lichtgestalt besucht worden sein wollte. Der Gast aus dem Geisterreich habe ihr für die Halbzeit des zwanzigsten Jahrhunderts ein neues Mittel zur Beeinflussung der Jugend angekündigt. Damals hatte David jeden verdammt, der sich auch nur in die Nähe von Madame und ihrer Theosophischen Gesellschaft wagte, Männer wie Rudolf Steiner etwa, der wohl nur seiner Selbstüberschätzung gefolgt und im späteren Leben durch manch weisere Tat aufgefallen war.
Doch was dem Guten nicht nützt, das schadet auch dem Bösen nicht. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei dachte, als die Daven Corporation aus Newark, New Jersey, mit dem Verkauf von Fernsehempfängern zum Stückpreis von fünfundsiebzig Dollar begann. David konnte sich noch lebhaft daran erinnern, ebenso wie an das ungute Gefühl von damals. Was ein Segen sein konnte, wenn man sich dessen mit Verstand und Maß bediente, wurde allmählich zu einem Moloch, der Kinder verspeiste. In Diktaturen musste das Jungvolk nach Reih und Glied aufmarschieren und in Demokratien saß der Nachwuchs vor der Glotze. Hier wie da gaben die Eltern ihre formbaren Sprösslinge aus der Hand. Was hatte Toyama einst im Wald von Kent gesagt? »Ein alter Baum biegt sich nicht gern.« Doch: »Willst du ein Land ohne Schwertstreich erobern, dann musst du dir nur seine Kinder nehmen.«
In John F. Kennedy jedenfalls sahen viele einen Heilspropheten, predigte er doch den »Aufbruch zu neuen Ufern«. Darunter fiel nun auch der Mond. Doch wer den Blick gern in die Ferne schweifen lässt, verliert allzu leicht das Augenmerk für seine nähere Umgebung. Konnte dieser Mann – hier, auf der Erde – den Intrigen Belials trotzen? Oder würde er sich unfreiwillig zum Werkzeug machen lassen wie so viele andere auch? David bekam eine Antwort auf die selbst gestellte Frage, als ihn im April 1961 James Reston von der New York Times anrief. Im Geäst von Davids weit verzweigtem Agentenstamm war James gewissermaßen ein noch sehr junger, ziemlich weit außen treibender Spross.
»Du hast mich doch gebeten, Kuba im Auge zu behalten«, kam der Reporter ohne Umschweife zur Sache.
»Sag bloß, dir ist etwas zu Ohren gekommen.«
»Könnte man so sagen. Hast du schon einmal von Zapata gehört?«
Der Name des einstigen Logenbruders Belials ließ David einen Schauer über den Rücken laufen. Ausweichend fragte er: »Wer soll das sein?«
»Also nicht. Ich möchte die Sache nicht am Telefon besprechen. Können wir uns heute Abend im Digger treffen?«
»Ich bin um acht dort.«
Der Digger, eine Kneipe in der Nähe der Wall Street, wurde hauptsächlich von jenen schlipstragenden Männern frequentiert, die sich für die wahren Nachfahren der Goldgräber hielten: den Börsenmaklern. Das Lokal war laut, verraucht und behagte David überhaupt nicht. Immerhin schien es hervorragend geeignet, um unbelauscht ein vertrauliches Gespräch zu führen.
»Was hast du herausbekommen?«, fragte David ungeduldig, nachdem er und James Reston einen abgelegenen Tisch bezogen und den ersten Schluck ihres Drinks genommen hatten.
»Der CIA plant offenbar ein ziemlich linkes Ding«, antwortete James mit gedämpfter Stimme. »Mit vergifteten Zigarren ließ sich ja Castro nicht aus dem Wege räumen. Nun soll in Kürze eine Invasion der Insel erfolgen.«
»Die Staaten greifen Kuba an?«, zischte David ungläubig.
»Nein, das Ganze soll viel subtiler ablaufen. Offenbar hat der amerikanische Geheimdienst eine Gruppe von Exilkubanern an der Hand, die nun die Drecksarbeit für Kennedy übernimmt.«
»Und was hat das mit Zapata zu tun?«
»So lautet der Name der Geheimoperation.«
David ließ sich in seine Stuhllehne zurückfallen und pfiff leise durch die Zähne. »Hast du eine Ahnung, wem ausgerechnet diese Chiffre für das Unternehmen eingefallen ist?«
James schob
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