Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
zu wollen? Eher das Gegenteil ist doch der Fall: Obwohl du ein Rätsel für mich bist, helfe ich dir.«
»Das hast du wirklich getan, Zvi, und dafür danke ich dir.«
»So war das nicht gemeint, David. Du hast mich doch vor Jahren darum gebeten, in den Qumran-Rollen nach diesem mysteriösen Orden zu forschen, der angeblich seit Jahrhunderten die Geschicke der Menschen manipuliert…«
David riss die Augen auf. »Sag bloß, du hast…?«
»Etwas gefunden?« Zvi schüttelte den Kopf, lächelte aber gleich darauf verschmitzt. »Es gibt allerdings Hoffnung. Habe ich dir schon mal erzählt, dass mein Bruder Yochanan Archäologe ist?«
»Du machst Scherze!«
»Nein, das stimmt wirklich. Leider hat er keinen direkten Zugang zu den Qumran-Rollen, aber er kennt zwei oder drei der Wissenschaftler, die im Palästinischen Archäologischen Museum an den Funden arbeiten. Wenn das, wonach du suchst, in den Manuskripten verborgen ist, dann wird er es früher oder später finden. Ich wollte dir das nur sagen, um dir Mut zu machen.«
»Danke, Zvi. Gib mir Bescheid, sobald du etwas Neues erfährst. Vielleicht können wir mit den Rollen aus Qumran den Fall endlich zum Abschluss bringen.«
Zvi Aharoni machte ein zuversichtliches Gesicht und erwiderte: »Alles ist gut, was gut endet.«
Blinde Maulwürfe
Gleich nach seiner Rückkehr in die Gelbe Festung hatte David für Time einen Artikel verfasst, der ihm seine Gedanken ordnen half und weltweit für Furore sorgte. Vor allem in israelischen Regierungskreisen war man irritiert, woher nur das amerikanische Wochenmagazin derart intime Kenntnisse über eine verdeckte Mossad-Operation hatte. Es gab gewaltsame Proteste vonseiten rechtsgerichteter Kreise in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern. Jüdische Friedhöfe wurden verwüstet, Restaurants mit großkalibrigen Waffen beschossen, Schulen angezündet und Synagogen mit Bomben bedroht. In Buenos Aires brachte der Nazimob zwei junge Frauen um. Ließen sich Eichmanns Absichten überhaupt noch durchkreuzen oder war es längst zu spät?
Der Buchhalter des Todes hatte zugegeben, dass er an der Auffrischung der unter Barrios’ Regie geknüpften Kontakte beteiligt gewesen war. Javier Gonzales zufolge liefen viele der Verbindungsfäden direkt nach Kuba. Die Insel befand sich inzwischen fest in Castros Hand – ein Diktator hatte den anderen ersetzt. Seit der Ministerpräsident die mächtigen amerikanischen Konzerne durch radikale Enteignungen gegen sich aufgebracht hatte, herrschte nicht gerade ein entspanntes Klima zwischen dem kleinen Karibikstaat und seinem großen Nachbarn. Im Juli hatten die USA sämtliche Zuckerimporte gestrichen, worauf nur wenige Tage später die UdSSR als Abnehmer eingesprungen war. Man musste kein Visionär sein, um die sich anbahnende Krise vorherzusehen. In Korea hatten die Vereinigten Staaten auch deshalb einen Krieg geführt, weil sie die Ausdehnung des kommunistischen Machtbereichs nicht ertragen konnten. Und jetzt begann sich Chruschtschow eine Sommerdatscha direkt in ihrem »Hinterhof« einzurichten.
Noch bevor der Herbst die Blätter färbte, reiste David nach Kuba. Er musste Javier Gonzales wiederfinden. Seit seinem letzten Besuch in Havanna hatte sich einiges geändert. Da Amerikaner längst nicht mehr gern gesehene Gäste waren, bediente er sich eines nagelneuen Passes aus Rubens Atelier. Den Namen »Fälscherwerkstatt« verbat sich der vielseitig talentierte Künstler, wiewohl er an seinem neuen Betätigungsfeld offenkundig Freude fand. David reiste nun als mexikanischer Geschäftsmann namens Enrique Espada.
Nachdem Gonzales über Nacht zum Millionär avanciert war, hatte er seine schäbige Wohnung in der Hafengegend aufgegeben. Normalerweise können sich Menschen, die mit Geld um sich werfen, nicht vollkommen unauffällig bewegen. Aber bei Gonzales verhielt sich das anders. So viele Leute David auch befragte, sosehr er sich auch ins Zeug legte, der lebensfrohe Kubaner blieb wie vom Erdboden verschluckt. Langsam bekam eine von Eichmanns nebulösen Äußerungen einen Sinn. Er hatte gesagt, nach Don Alfonsos Ausfall sei es nicht so leicht gewesen, die von ihm gesponnenen Faden wieder aufzunehmen und in zuverlässige Hände zu geben. Durch Javier Gonzales war Belial ein wertvoller Mitstreiter verloren gegangen. Vermutlich hatte der Kubaner sich danach nicht mehr lange seines Vermögens erfreuen können.
Am 13. Oktober 1960 kehrte David unverrichteter Dinge nach New York zurück.
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