Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
betreibst du doch eine Nachrichtenagentur. Ich bin nur gekommen, um Material für eine Story abzuholen.«
    David bedankte sich bei Ruben und führte den Journalisten zur »Erholungsinsel«, einer Landschaft aus Polstermöbeln und üppigen Grünpflanzen, wo sie Lorenzo in einem Ledersessel erwartete.
    »Was gibt es denn Dringendes?«, fragte der Italiener.
    »Die Sowjets errichten auf Kuba Stellungen für nuklearbestückte Angriffsraketen und Kennedy weiß davon.«
    Sekunden lang blickte David den Reporter sprachlos an. Das war ernster, als er befürchtet hatte. »Welcher Kennedy, der Justizminister oder der Präsident?«, fragte er benommen.
    »Du kannst dir einen aussuchen.«
    »Sind das Fakten oder Vermutungen?«
    »Nennen wir es ›harte Wahrscheinlichkeiten ‹. U2-Aufklärer haben definitiv acht SA-2-bestückte SAM-Raketenstellungen und andere mit Lenkflugkörpern ausgemacht. Nach einer weiteren bestätigten Meldung hat die Poltava, ein sowjetisches Frachtschiff, im Hafen von Mariel angelegt, augenscheinlich ist sie mit MRBMs beladen.«
    »Mittelstreckenraketen!« David wich die Farbe aus dem Gesicht.
    »Jetzt kommen die halb offiziellen Informationen«, fuhr James in sachlichem Ton fort. »Es heißt, mindestens acht der MRBMs seien in einem Konvoi nach San Cristobal verbracht worden, wo für sie gerade eine Abschussrampe gebaut wird. Der Präsident wurde offenbar am Sechzehnten morgens informiert. Wie es aussieht, tagt seitdem in Washington ein Krisenstab, der sich ›die Gruppe‹ oder ›Kriegsrat‹ nennt und alle möglichen Optionen von einer Invasion über eine Seeblockade bis hin zu einem Atomkrieg durchspielt.«
    David fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. Ein Krieg mit Nuklearwaffen! Warum reichte nicht allein schon die vage Möglichkeit eines solchen Konflikts aus, um die Politiker an den Verhandlungstisch zu zwingen? Ja, weshalb gab es solche Waffen überhaupt? Er atmete tief durch. »Ich hasse Wettläufe.«
    Lorenzo schmunzelte.
    James fragte: »Wie darf ich das verstehen?«
    »Gibt es im Stab des Präsidenten jemanden außer Robert Kennedy, den du anrufen könntest?«
    »McGeorge Bundy. Er mag mich zwar nicht, aber ich glaube, er respektiert mich.«
    »Der Sicherheitsberater«, murmelte David mit einem zustimmenden Nicken. »Das könnte funktionieren. Hör zu: Ich muss irgendwie in diesen Kriegsrat kommen. Am liebsten wäre mir natürlich ein Gespräch mit dem Präsidenten selbst.«
    James wiegte den Kopf hin und her. »Ich kann keine Wunder vollbringen, David. Aber morgen früh hänge ich beim National Security Advisor in der Leitung und quetsche ihn für dich aus, das verspreche ich dir.«
     
     
    McGeorge Bundy wurde von James Reston regelrecht überfahren. Als der Journalist ihn mit dem Material über die sowjetischen Raketenbasen auf Kuba konfrontierte, reagierte der Sicherheitsberater verschlossen und zurückhaltend, fast schon ein offenes Eingeständnis der bedrohlichen Krise.
    Für David gab es von nun an nur eine Marschrichtung: direkt ins Weiße Haus. Er musste in das Exekutivkomitee, Kennedys Krisenstab, aufgenommen werden. Nur im Zentrum der Macht konnte er wie damals bei Präsident Truman seinen Einfluss geltend machen und vielleicht das Unsägliche vereiteln: einen Atomkrieg. Da gab es nur ein Problem. Wie sollte der Name David Pratt während einer Krise, von der die Existenz der ganzen Menschheit abhing, in den Terminkalender des amerikanischen Präsidenten gelangen?
    David suchte aus seinem kleinen schwarzen Telefonbuch die New Yorker Nummer einer Frau heraus, der, wie er hoffte, selbst John E Kennedy nicht würde widerstehen können. Die Vollversammlung der UN hatte sie seinerzeit zur »First Lady der Welt« gekürt. David hob den Hörer ab und wählte. James Reston saß schweigend daneben und staunte. Er selbst hatte Eleanor Roosevelt noch nie um einen Gefallen gebeten.
    Nur wenige Ruftöne und schon fragte eine strenge Frauenstimme, die eindeutig nicht der Präsidentenwitwe gehörte, nach Davids Begehr. Es erforderte dann seine ganze Überredungskunst, die Sekretärin vom Auflegen abzuhalten. Mit näselnder Stimme erklärte sie, Lady Roosevelt sei indisponiert und könne zurzeit weder Besucher empfangen noch Telefongespräche führen, David blieb hartnäckig. Endlich wurden ihm »drei Minuten« bewilligt.
    Lady Eleanor meldete sich am Telefon mit jener altvertrauten Stimme, in der Selbstbewusstsein und mütterliche Anteilnahme mitschwangen, jetzt aber auch Erschöpfung zu

Weitere Kostenlose Bücher