Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
liegen schien, David machte sich bewusst, dass die »First Lady of the World« nun annähernd achtzig Jahre alt sein musste. Zuletzt hatten sie 1948 im Pariser Palais de Chaillot anlässlich der Verabschiedung der UN-Menschenrechtscharta miteinander gesprochen.
Es bedurfte keiner langen Erklärungen, um sich bei Eleanor Roosevelt in Erinnerung zu bringen, David schilderte in knappen Worten, um was es ging: Er habe Kenntnis von einer Krise, die im Weißen Haus viel zu sehr allein als nationales Sicherheitsrisiko und viel zu wenig als Vorbote einer globalen Katastrophe angesehen werde. Sie, Lady Eleanor, müsse ihm, David Pratt, unbedingt ein Gespräch mit dem Präsidenten vermitteln.
»Sie sind immer noch derselbe Weltverbesserer wie früher, Mr Pratt«, antwortete die kränkelnde alte Lady.
»Und Sie haben mir einmal gesagt, ich müsse die Dinge tun, von denen ich denke, sie tun zu können, Lady Eleanor. Und jetzt ist es so weit. Während des Koreakrieges hat sich die Welt schon einmal am Abgrund befunden und damals konnte ich Präsident Truman den Einsatz der Atombombe ausreden. Bei John E Kennedy wird mir das auch gelingen.«
»Sie haben…?« Erstaunt hielt die Lady für einen Moment inne, um dann zweifelnd anzumerken: »Jack ist aus einem anderen Holz geschnitzt als Harry.«
»Wenn nicht jede Stunde zählen würde, hätte ich Sie nicht belästigt, Lady Eleanor. Ich brauche Ihre Hilfe!«
Mehrere Sekunden lang drang nur leises Rauschen aus dem Hörer. Schließlich ein Ausatmen. »Also gut, Mr Pratt. Ihr Einsatz imponiert mir. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann.«
Von der Stunde, da Eleanor Roosevelt sich der Angelegenheit Davids angenommen hatte, ging dann alles ganz schnell. Binnen einer Stunde rief ihre Sekretärin in der Gelben Festung zurück. Gleich darauf war die Lady wieder persönlich am Apparat.
»Der Präsident befindet sich zur Stunde auf der Rückreise von Chicago nach Washington. Ich habe ihn gerade noch im Blackstone Hotel erreicht. Er ist bereit, Sie morgen Abend zu empfangen.«
Einer schlaflosen Nacht folgte zu früher Stunde der Flug nach Washington, D. C. Als David am Sonntagabend die Privatgemächer des mächtigsten Mannes der Welt betrat, musste er an sein erstes Interview mit John F. Kennedy denken, das nun schon mehr als ein Dutzend Jahre zurücklag. Der einst von der Damenwelt heiß umschwärmte Mann sah nun müde und besorgt aus. Er saß in einem ausladenden Sessel. Auf dem viereckigen Tisch neben ihm glitzerte im gedämpften Licht einer Lampe seine Brille, die er zur Begrüßung des Besuchers samt einem Packen Dokumente zur Seite gelegt hatte. In der Öffentlichkeit spielte Jack, wie Freunde und Feinde ihn vertraulich nannten, gern den jugendlich-sportlichen Typ. Aber David kannte die andere Seite des Präsidenten. Manchmal war sein Gesicht von Medikamenten aufgedunsen, er brauchte eine Sehhilfe und während des Wiener Gipfeltreffens mit Chruschtschow hatte ihm sein Rückenleiden so zugesetzt, dass er danach eine Zeit lang an Krücken gehen musste. David nahm es als viel versprechendes Zeichen, dass Kennedy seine Sehschwäche nicht vor ihm verborgen hatte.
Im Anschluss an die ungewöhnlich herzliche Begrüßung wurde der Sicherheitsbeamte des Secret Service vom Präsidenten aus dem Raum geschickt. Auch Kennedy war offensichtlich an einem Gespräch in vertraulicher Atmosphäre interessiert.
»Ich hätte nie gedacht, dass der geheimnisvolle Mr Pratt mir noch einmal die Ehre eines Interviews gewähren würde«, sagte er in Anspielung auf Davids legendären Ruf als Journalist und machte sogleich das Angebot, sich gegenseitig mit Vornamen anzureden.
David kam Kennedys vertraulicher Ton nur gelegen. »Sie wollen mir nur schmeicheln, Jack. Ein neuer Artikel über Sie ist längst überfällig. Der Kongressabgeordnete von 1949 hat sich zu einem König Artus gemausert, dessen Tafelrunde der ganzen Welt Gesprächsstoff liefert.«
»Verschonen Sie mich mit diesen Camelot-Geschichten«, wehrte Kennedy lachend ab. »Warum sind Sie wirklich gekommen, David? Nach Lady Eleanor könnte man meinen, Sie kämpften um den Fortbestand der ganzen Welt.«
Genau darum ginge es auch, antwortete David frei heraus und nahm kein Blatt mehr vor den Mund. Fest entschlossen, die ganze Macht seiner Gabe einzusetzen, erzählte er Kennedy aus seinem Leben. Als er von General MacArthur und der an dessen Seite im Pazifik erlebten Kriegsjahre berichtete, wurde der Präsident hellhörig. Auch er habe im
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