Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
Zweiten Weltkrieg unter dem Kommando des bärbeißigen Generals gedient, erzählte Kennedy mit glänzenden Augen, ein unverwechselbares Symptom für das wohl vertraute Alte-Kameraden-müssen-zusammenhalten-Syndrom. David nutzte geschickt die Gunst der Stunde und kam auf Japans Lohn für den Überfall auf Pearl Harbor zu sprechen: die atomare Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki. Was damals geschehen sei, könne sich schon binnen kurzem auf dem Boden der Vereinigten Staaten wiederholen.
Sein Augenzeugenbericht hinterließ Spuren beim Präsidenten, der inzwischen auch schon zweifacher Vater war. Die von amerikanischen Bomben verdampften japanischen Kinder hätten keine Wahl gehabt, bemerkte David beiläufig, wie wohl auch niemand den windelbepackten John und die quirlige kleine Caroline fragen würde, ob sie gerne für die Ideale ihres Vaters stürben. Er konnte sehen, wie der Schrecken in den grauen Augen des Präsidenten aufflackerte, und ließ das grausame Bild einen Moment einwirken, um dann auf die »nukleare Option« zu Zeiten des Koreakrieges zu kommen. Auch Truman habe letztlich eingesehen, dass die durch Nukleareinsatz erzwungene Beendigung eines Krieges ein einmaliger Ausnahmefall in der Geschichte bleiben musste.
Als David die letzten Worte gesprochen hatte, fühlte er sich ausgelaugt. Lange saßen er und Kennedy sich stumm gegenüber.
Der Präsident starrte in das von der Tischlampe nur schwach erhellte Wohnzimmer. Endlich blinzelte er, leckte sich die Lippen und sagte: »In den letzten Tagen hatte ich bisweilen das Gefühl, ein kleiner Flüsterer sitze in meinem Ohr und sage: Tu dies und lass das. Aber nun kommen Sie und sprechen all meine Bedenken aus. Keinem anderen Menschen ist das bisher gelungen. Vielleicht beruhigt es Sie, wenn ich Ihnen versichere, dass ich der Seeblockade Kubas gegenüber einer Invasion, wie von den Vereinigten Stabschefs gewünscht, den Vorzug gegeben habe. Aber noch ist die Krise nicht bewältigt.«
Nein, die Kubakrise war mit Davids Aufnahme in den Krisenstab des Präsidenten keineswegs gelöst. Aber nun kämpfte ein Wahrheitsfinder im Exekutivkomitee gegen die Falken, die ein energisches Vorgehen des Militärs forderten, und stützte zugleich die Tauben, die sich zum Frieden aufschwingen wollten. Von den Ersteren wurde er argwöhnisch beäugt und selbst die Gemäßigten tratschten bisweilen im Flüsterton über den von Kennedy wie das berühmte Kaninchen aus dem Zylinder hervorgezauberten weißhäuptigen Berater, der sogar in einem Gästezimmer des Weißen Hauses nächtigen durfte, aber nie mit den anderen am Konferenztisch saß, sondern sich immer mit einem Platz in der zweiten Reihe begnügte. Erst wenn die offiziellen Sitzungen beendet und die Aufzeichnungsgeräte abgeschaltet waren, begann dieser Dorn im Fleisch des Krisenstabes zu bohren und zu stechen, bis selbst den kriegslüsternsten Mitgliedern die Lust am Bomben verging. Leider aber immer nur für wenige Stunden.
Aufseiten jener, denen er nicht ständig auf die Zehen treten musste, gewann David schnell Sympathien. Ob Stabschef oder Putzfrau, man respektierte und schätzte ihn, und zwar nicht nur als den geheimnisvollen Vertrauten des Präsidenten, sondern auch als einen absolut integren Charakter. Seine Anwesenheit durfte zwar nicht außerhalb des Weißen Hauses bekannt werden – David hatte ausdrücklich darum gebeten und Kennedy entsprechende Anweisungen erteilt –, aber innerhalb dieses Bannkreises konnte er sich bald völlig frei bewegen.
Am Abend des 26. Oktober zeichnete sich für ihn endlich die Gelegenheit zu einer dauerhaften Lösung der Krise ab. Es war wieder einmal Post aus Moskau eingetroffen. Ungewöhnlich emotional beschwor Chruschtschow darin das Gespenst des Atomkrieges. Robert Kennedy beurteilte das Schreiben als »verworren«. Bei aller Vorsicht, die David den Bekenntnissen von Politikern jeglicher Couleur entgegenbrachte, entdeckte er in dem Brief jedoch erstaunliche Feststellungen, die genauso gut auch von ihm selbst hätten stammen können.
Nur Wahnsinnige oder Selbstmörder, die den Tod suchen und die ganze Welt zerstören möchten, bevor sie sterben, wären dazu imstande.
Beschrieb der Ministerpräsident der UdSSR damit nicht genau Belials Jahrhundertplan? Als hätte er Davids Gedanken vorausgeahnt, wurde Chruschtschow einige Zeilen später sogar noch deutlicher.
Daher kann nur ein Wahnsinniger glauben, dass Waffen für das Leben der Gesellschaft das Wichtigste seien. Nein, sie
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