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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bedeuten einen Verlust an menschlicher Energie, und mehr noch, sie führen die Zerstörung der Menschen selbst herbei. Wenn die Menschen nicht einsichtig werden, dann wird es schließlich zu einem Zusammenstoß kommen, wie es blinden Maulwürfen ergehen mag, und dann wird die gegenseitige Ausrottung beginnen.
    Blinde Maulwürfe. Für David eine höchst seltsame Formulierung. Während man im Exekutivkomitee darüber diskutierte, wie mit dem »verworrenen« Text umzugehen sei, verfiel er in tiefes Grübeln. Der Maulwurf galt ja ohnehin als blindes Tier, was jedoch streng genommen nur auf einige Arten zutraf. So gesehen war ein blinder Maulwurf eine Tautologie, ebenso wie ein weißer Schimmel. Hatte Chruschtschow sich unbewusst dieser Wendung bedient? David bezweifelte das. Maulwürfe sind in ihrem finsteren Lebensraum keineswegs orientierungslos, weshalb es auch kaum zu Zusammenstößen kommt. Beschrieb der sowjetische Staatsführer in Wahrheit eine Gesellschaft von Blinden, die sich ihrer Blindheit gar nicht bewusst war und deshalb auf ihr Verderben zusteuerte?
    David blickte sich verdutzt im Konferenzzimmer um. Mit einem Mal glaubte er die grauhaarigen, hektisch debattierenden Männer mit ihren gewichtigen Mienen von einer viel höheren Warte aus zu sehen. Wie leicht war es doch, die Welt aus der Maulwurfsperspektive zu betrachten, nur an sich selbst zu denken! Da wurde der Gegner verbissen als Dieb und potenzieller Mörder verteufelt und der eigene Weg als einzig wahrer gepriesen, selbst wenn am Ende »die gegenseitige Ausrottung« stand.
    In Chruschtschows stilistisch nicht gerade bestechendem Brief spiegelten sich seine ureigenen Ängste wider. Und genau darin witterte David eine Chance. Man musste dieses Grauen nur kanalisieren, es gewissermaßen in eine friedliche Bahn lenken, anstatt sich angesichts der Drohung zu einer Kurzschlussreaktion verleiten zu lassen.
    Ein Antwortschreiben mit sorgfältig abgewogenen Formulierungen konnte die entscheidende Wende bringen. Gerade wollte David seine Überlegungen mit den Kennedy-Brüdern teilen, als J. Edgar Hoover das schwankende Boot des Krisenstabes fast zum Kentern brachte.
    Der Direktor des FBI überraschte die Mitglieder mit einem Memorandum seiner New Yorker Dienststelle. Offenbar trafen die sowjetischen Botschaftsangehörigen dort Vorbereitungen zur Vernichtung sämtlicher Geheimdokumente. Dergleichen war eigentlich nur für den Kriegsfall üblich.
    Um dem Gegner zuvorzukommen, empfahlen die Vereinigten Stabschefs einen Luftangriff auf Kuba für den kommenden Montag und anschließend die Invasion. Inzwischen war auch noch ein zweiter Brief aus Moskau eingetroffen, in dem nun wieder ein erheblich rauerer Ton angeschlagen wurde. Nicht nur David zweifelte daran, dass dieser knallharte Forderungskatalog aus Chruschtschows Feder stammte. David empfahl dem Präsidenten im Beisein Roberts, das zweite Schreiben einfach zu ignorieren und nur auf Chruschtschows ersten Brief zu antworten.
    Zwar stimmten die Kennedybrüder dem Vorschlag ihres Geheimberaters zu, aber als David den Entwurf des Antwortschreibens las, glaubte er Belials eiskalte Klauen auf seinem Herzen zu spüren. Die Sowjets konnten den Brief nur als Provokation auffassen. David drang auf eine Änderung des Textes und der Präsident schickte den Bruder zusammen mit Theodore Sorensen, seinem Redenschreiber und langjährigem Vertrauten, erneut in Klausur. Die zweite Fassung fiel zwar moderater aus, aber der amerikanische Widerwillen gegen jegliche Zugeständnisse an die Adresse der Sowjets war dennoch unverkennbar. David hielt ein Einlenken Chruschtschows ohne diesen Brief für wahrscheinlicher als mit. Zu deutlich hatte die Angst des sowjetischen Staatsführers vor einem Atomkrieg aus dessen Freitagsdepesche gesprochen. Wenn sich aber nun die amerikanische Antwort irgendwie… verzögerte?
    Die Idee ließ David vor Erregung zittern. Eine solche diplomatische Funkstille musste beim sowjetischen Staatschef die Angst vor einem amerikanischen Angriff auf Kuba, möglicherweise sogar vor einem Präventivschlag gegen die UdSSR, weiter schüren. Chruschtschow mochte zwar mit dem Schuh Rednerpulte demolieren, aber er würde gewiss nicht den ersten Schritt zur Zerstörung der Welt tun.
    Und weil der Wahrheitsfinder seiner inneren Stimme vertraute, fasste er einen Entschluss.
     
     
    Nicht mehr lang und selbst der Sicherheitsberater des Präsidenten würde zu Davids Bruderschaft gehören. Es war daher nicht schwer,

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