Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
die Kleinarbeit längst von jungen, begeisterten »Brüdern« verrichtet wurde, die bei David in Lohn und Brot standen, seiner Sache aber wohl auch ohne Bezahlung gedient hätten. Um die neuen Helfer unterzubringen, war die oberste Etage der Gelben Festung mit Trennwänden in einzelne Büros unterteilt worden. David hatte noch immer sein eigenes kleines Reich in diesem geschäftigen Horst über dem Hudson River.
»Ach, hier haltet ihr euch versteckt. Post für dich, David.« Ruben fächerte sich mit einem Briefumschlag frische Luft zu.
»Warum hat Helen sie mir nicht auf den Schreibtisch gelegt wie sonst auch?« Helen war das Mädchen für alles.
»Ein Bote hat das hier eben bei mir abgegeben, mit dem ausdrücklichen Hinweis, es dem Adressaten – also dir – umgehend zuzustellen. Hier, lies selbst.« Ruben reichte den Brief über den Tisch.
Nachdenklich betrachtete David die Zustelladresse. Zuoberst stand der Name des offiziellen Alleininhabers der Nachrichtenagentur Truth, Dan Kirpan, und darunter »c/o Ruben Rubinstein«. Mit Zeigefinger und Daumen tastete er den Umschlag ab. Er schien kein Papier zu enthalten, sondern nur ein Stück Karton…
Davids Finger erstarrten und er blickte den Maler aus großen Augen an. »Doch nicht…?«
»Der gute Freund?« Ruben grinste. »Wenn du ihn nicht endlich aufmachst, wirst du es nie erfahren.«
David griff zum Brieföffner, schlitzte den Umschlag auf und entnahm ihm – ein Karo-Ass.
»Und? Was steht drauf?«, fragte Ruben ungeduldig.
David zeigte ihm die Spielkarte.
Du verzettelst dich.
Heb dir Kelippoth für später auf.
Geh nach Kleinasien.
Und finde das Tal der Schlafenden Zauberer .
Gewohnheitsmäßig hatte der Verfasser der Botschaft die schlichte Unterschrift »Ein Freund« gewählt.
»Ich habe dir schon immer gesagt, dass die Suche nach Kelippoth nichts bringt«, meinte Lorenzo, nachdem auch er die Nachricht gelesen hatte.
»Mehr kannst du dazu nicht sagen?«, ereiferte sich David.
»Ich finde die Mitteilung sehr deutlich: Wir sollten uns auf den Nahen Osten konzentrieren.« Lorenzo grinste. »Hab ich ja schon immer gesagt.«
»Und dieses ›Tal der Schlafenden Zauberer‹? Sag bloß, dass du dafür auch schon eine Erklärung hast.«
»Nein, aber dein Freund wird schon wissen, warum er uns diesen Hinweis gibt. Bisher hat er dich noch nie enttäuscht, oder?«
David stieß die Luft aus und verzog das Gesicht. »Das ist es ja! Warum muss er sich nur immer in Rätseln ausdrücken? Ruben, du hast ihn doch einmal gesehen. Willst du mir nicht endlich verraten, wer er ist?«
»Ich habe nie behauptet, ihn gesehen zu haben. Bevor wir uns damals kennen lernten, ist mir das Herz-Ass durch einen Boten zugestellt worden. Allerdings hat mich dein stiller Förderer angerufen. Er sprach deutsch, mit dem gleichen, kaum wahrnehmbaren österreichischen Akzent wie du.«
Einen Moment lang zermarterte sich David das Gehirn, wer ihm in Kindestagen in Wien über den Weg gelaufen sein konnte und sich insgeheim seiner Sache verschrieben haben mochte. Lorenzo und Ruben ließen ihm Zeit zum Nachdenken, aber es kam nichts dabei heraus. David hob die Schultern und seufzte. »Mir fällt niemand ein.«
»Und was wirst du jetzt tun?«, fragte Lorenzo.
»Na, was schon? Wir werden uns gemeinsam auf den Nahen Osten stürzen. Du forschst nach dem Tal der Schlafenden Zauberer und ich kümmere mich um den Rest.«
David ließ sich vom israelisch-ägyptischen Friedensvertrag nicht blenden. Der Nahe Osten war nach wie vor ein Pulverfass und damit per se ein lohnendes Forschungsgebiet für seine internationale Bruderschaft. Die Nachricht auf dem Karo-Ass hatte wesentlich zur Hebung seiner Stimmung beigetragen. Endlich war er das unangenehme Gefühl los, von Belial an der Nase herumgeführt zu werden. Dem Schattenlord konnte es doch nur recht sein, wenn sein erbittertster Gegner seine Lebenskraft in einer aussichtslosen Suche vergeudete. Aber das würde sich nun ändern. Vielleicht war ja sogar Kelippoth nach Kleinasien abberufen worden und stiftete dort nach Herzenslust Unheil.
Etwa drei Wochen nachdem das Karo-Ass eingegangen war, kehrte Ruhollah Mussawi Hendi Khomeini in den Iran zurück. Man hielt ihn für ein »Geschenk Gottes«, was trefflich in seinem Ehrentitel »Ayatollah« zum Ausdruck kam. An seine explosionsartig zunehmende Anhängerschaft richtete er den Slogan: »Im Namen Gottes zu töten oder getötet zu werden ist reinste Freude.« Der Schah von Persien
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