Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
wurde, unternahm David noch mehrere Versuche, ihn über seinen angeblichen Bruder Hank auszufragen. Manson verhielt sich wie ein Psychopath, stierte vor sich hin und schwor Rache, wenn er »erst seinen Leib abgelegt« habe. Keiner der unterschiedlichen Namen Kelippoths löste bei ihm irgendeine Reaktion aus. Schließlich gab es David auf.
Vielleicht war dies der größte Rückschlag in seinem Leben, abgesehen von dem Verlust Rebekkas natürlich. Davids Zorn richtete sich nun gegen die eigene Person. Er erging sich in Selbstvorwürfen. Seit Jahren bringe er nur Stückwerk zu Wege. Ohne Lorenzo und Ruben hätte er vielleicht ganz den Mut sinken lassen.
Kelippoth, Varuna oder wie immer sich der amerikanische Logenbruder Belials nannte, erwies sich als ungewöhnlich harter Brocken. Seine Schlinge – das Symbol des hinduistischen Varuna – schien den weißen Wolf gefangen zu halten und ihn zunehmend auszulaugen. Sollte sich nicht bald eine Wende abzeichnen, würde der Kampf gegen den Kreis der Dämmerung am Ende doch noch scheitern.
Der geheime Teil von Davids Nachrichtenagentur Truth arbeitete auf Hochtouren. Tausende von Einzelmeldungen wurden in der Gelben Festung gesichtet, analysiert und in kleine Informationsschnipsel zerhackt, die man nachher unterschiedlichen Kategorien zuordnete: Personen, Orten, Terminen… Wie einst bei der Suche nach An Chung-gun wurden Fahndungsraster angelegt, diesmal jedoch so umfangreich, dass nur noch der Computer die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fakten aufspüren konnte. Das Ergebnis dieses enormen personellen und technischen Aufwandes, ließ sich einfach zusammenfassen: Kelippoth war ein Phantom. Als solches blieb er zwar unsichtbar, aber durch seine Machenschaften trotzdem offenkundig – zumindest für Menschen wie David, deren Bewusstsein entsprechend sensibilisiert war.
Nicht zuletzt unter dem Eindruck ständiger Fehlschläge blieben Zweifel natürlich nicht aus. War es wirklich Belial, der auf all diese Entwicklungen Einfluss nahm? Bedienten er oder seine Helfer die Gier nach Sensationen, immer größerer Brutalität und dem Unerklärlichen? Manchmal nötigte David die Art und Weise, wie sich sein Gegenspieler der Medien als Werkzeug zur Manipulation der Massen bediente, sogar Respekt ab. Unter dem Motto panem et circenses. »Brot und Spiele«, hatten schon die römischen Potentaten versucht, das natürliche Bedürfnis der Menschen nach Entspannung und Vergnügen für ihre Zwecke zu missbrauchen. Ähnlich hielt man es auch in der Unterhaltungsindustrie. Für einen, der stramm auf die achtzig zumarschierte, war die Veränderung vielleicht deutlicher zu erkennen als für Jüngere: Langsam, wie durch ein schleichendes Gift betäubt, stumpften die Menschen immer mehr ab.
Das Medienzeitalter bescherte dem legendären Mr Pratt aber noch ein anderes Problem. In den siebziger Jahren wurde die Abschottung seines Privatlebens gegen die Öffentlichkeit immer schwerer. Das ging nicht zuletzt auf seine äußere Erscheinung zurück. Anders als Lorenzo, der auf würdige Weise alt wurde und dabei erfreulich rüstig blieb, sah David nicht im Geringsten wie ein über siebzigjähriger Greis aus, sondern wie ein Mann um die fünfundvierzig. Er selbst konnte sich dieses Phänomen auch nicht erklären. Ihm waren zwar einhundert Lebensjahre in die Wiege gelegt, aber körperlich fühlte er sich, als könne er mit Leichtigkeit auch zweihundert werden.
Obwohl Kelippoth weiter unsichtbar blieb, zeichneten sich am Horizont doch einige positive Entwicklungen ab. Sie ließen in David die Hoffnung aufkeimen, seinen amerikanischen Widersacher wenigstens erneut in einen Schlupfwinkel vertrieben zu haben. Erste Anzeichen hierfür wurden erkennbar, als Präsident Richard Nixon im Oktober 1969 den schrittweisen Abzug der Truppen aus Vietnam ankündigte und bereits am Dreiundzwanzigsten des Monats Taten folgen ließ. Und dann kehrte Anfang der Siebziger, nach Jahren des Kalten Krieges, endlich Tauwetter ein.
Das alles war gewiss nicht mehr als eine Atempause. Noch besaß der Kreis der Dämmerung ein mörderisches Potenzial und kapselte sich stärker ab als je zuvor. Nicht zuletzt auf Lorenzos Initiative hin wurde aus der Gelben Festung heraus nun eine beispiellose internationale Suche nach den sieben Männern organisiert. Dabei nahm David von den großen Nachrichten der Welt nur noch Notiz, wenn es seiner Sache diente. Bald würde man in dem britisch-französischen
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