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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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rieb sich in stiller Vorfreude die Hände. »Ich schlage vor, wir machen Lorenzo zum Bischof.«

 
    Unter dem heiligen Berg
     
     
     
    Den Zeitpunkt für einen Besuch der Halbinsel konnte man nicht etwa frei wählen, nein, man bekam einen Termin zugeteilt. David hatte sich am Mittwoch, dem 25. August 1982, einzufinden. Nach mehr als sechs Monaten Behördenkrieg hatte ihm das Athos-Büro des Ministeriums für Makedonien und Westthrakien ein provisorisches Visum für lächerliche drei Tage gewährt, eine ziemlich kurze Frist, um fünfzehntausend altgriechische Handschriften durchzugehen.
    Nachdem der Pilger und Journalist Phil Claymore von Ruben mit einem polizeilichen Führungszeugnis sowie einer warmen Empfehlung des New Yorker Bischofs Lorenzo ausgestattet worden und David im griechischen Konsulat gegen eine Gebühr eine amtliche Bestätigung gekauft hatte, konnte er endlich nach Thessaloniki fliegen. Um die knappe Zeit so gut wie möglich zu nutzen, hatte Lorenzo einige Vorkehrungen getroffen. Ein Mönch sollte David am Kai abholen und ein anderer wartete schon darauf, ihn in die Bibliothek des Klosters Iviron einzuführen.
    Zwei Tage vor dem Termin traf David in der Hauptstadt der griechischen Provinz Makedonien ein. Mit einem Mietwagen fuhr er nach Ouranopoli, der »Himmelsstadt«, dem letzten Vorposten der frauenbevölkerten Welt vor Aios Oros, dem »heiligen Berg«, dem Reich der Männer.
    Helen, die gute Seele der Gelben Festung, hatte für ihn ein Zimmer des Skites gebucht, des letzten Hotels vor der Grenze zur Mönchsrepublik. Umgeben von einem üppig blühenden Garten lag es direkt am Meer.
    Beim Frühstück am nächsten Morgen erklärte ihm die Deutsch sprechende Wirtin Paula den Weg zu dem Pilgerbüro, das sein vorläufiges Visum in ein diamonitirion umtauschte, ein hübsch anzusehendes Dokument. Doch damit war den Formalitäten noch lange nicht Genüge getan. Die schwerste Prüfung stand ihm noch bevor: der Geruchstest.
    Am Mittwochmorgen bestieg David die erste und einzige Fähre, die jeden Tag von der Himmelsstadt nach Dafni fuhr, einem winzigen Ort auf der Südhälfte der Halbinsel Mit ihm waren noch fünf Bauarbeiter und vier Pilger an Bord gegangen, alle wie er selbst mit langen Vollbärten geschmückt.
    Noch weiter südlich, fast am Ende des dritten »Fingers« der Chalkidiki, ragte der Athos auf. Als David vom schwankenden Boot aus zum ersten Mal den über zweitausend Meter hohen Kegel sah, begann er zu verstehen, warum die Griechen ihre Götter zuerst dort angesiedelt hatten, bevor sie das Pantheon dann auf den Olymp umziehen ließen.
    Bald legte die Fähre an der Mole von Dafni an, und noch ehe ein einziger Passagier den Fuß an Land setzen konnte, stellte sich den zehn Ankömmlingen ein Mönch in schwarzem Talar in den Weg. Er trug eine flache runde Kappe auf dem Kopf, einen großen weißen Bart am Kinn und eine besonders grimmige Miene zur Schau.
    »Das ist die Einreisekontrolle«, flüsterte ein Bootsmann David in gebrochenem Englisch zu.
    Der Kontrolleur musterte jeden Landgänger, als brächte er die Pest mit. Es war unmöglich, ihm aus dem Weg zu gehen. Einer der Pilger versuchte einen Bogen zu schlagen, aber der Mönch setzte ihm augenblicklich nach. David ahnte, welchem Zweck die Kontrolle diente, auch wenn ihm das Verfahren nicht ganz eingängig war.
    Als er endlich an die Reihe kam, fragte er freimütig: »Was täten Sie, wenn hier eine Frau von Bord wollte?«
    »Das ist noch nie vorgekommen«, knurrte der Mönch.
    »Und wenn sich eine in Männerkleider zwängt? Sie führen doch keine Leibesvisite durch. Woran wollen Sie das weibliche Wesen denn erkennen?«
    »Am Geruch«, lautete die prompte Antwort.
    »Warum? Riechen denn Frauen anders als Männer?«
    Der Mönch nickte.
    »Und wie?«
    »Wie Stinktiere«, antwortete der Kuttenträger.
    Das Lächeln verschwand von Davids Lippen, »Darf ich jetzt einreisen?«
    »Nur, wenn Sie kein Eunuch sind.«
    »Reicht Ihnen mein Wort als Versicherung?«
    Der Mönch deutete mit herrischer Geste in Richtung Insel und widmete sich der geruchlichen Beurteilung des nächsten Passagiers.
    Wenige Meter hinter dem Kontrolleur wartete ein Jeep, aus dem jetzt ein Mönch von höchstens vierzig sprang und auf David zulief. Auch er trug das landesübliche Schwarz, jedoch einen fast schon sündhaft kurzen Vollbart. Sein Gesicht strahlte vor echter Freude und er begrüßte den Besucher auf Französisch.
    »Sie müssen Mr Claymore, der Journalist aus New York

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