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Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund

Titel: Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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sein.« Er deutete auf Davids schneeweißes Haar, »Ich habe Sie sofort erkannt.«
    »Dann sind Sie bestimmt Emanouel, der Ikonenmaler.«
    Ein rosa Schimmer huschte über die zarten Wangen des Mönchs. »Sie beschämen mich, Mr Claymore.«
    »Wieso? Weil ich Ihren Namen kenne?« David drehte sich zu dem Kontrolleur um und setzte hinzu: »Sie scheinen ja wirklich alles zu tun, um weltliche Versuchungen von Ihrer Insel fern zu halten.«
    Emanouel lachte hell auf. »Bruder Eleftherios’ Nase ist das beste Frühwarnsystem.«
    »Das scheint mir auch so. Was würde er eigentlich tun, wenn eine Frau vor der Insel vom Ausflugsdampfer fällt?«
    »Na, was schon? Er würde sie ertrinken lassen.« Der Mönch lachte fröhlich und deutete in den Geländewagen. »Geben Sie mir Ihre Reisetasche und steigen Sie ein. Ich bringe Sie ins Kloster.«
    David warf seine Reisetasche auf die Rückbank und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Emanouel steuerte den Jeep im Spaziertempo durch die Berge der Halbinsel, kommentierte die Landschaft und dozierte über das jahrhundertealte Eremitentum von Athos. Die Sonne stieg am Himmel empor und ließ Davids Gesicht in dem offenen Fahrzeug langsam rot anlaufen. Etwa auf halber Strecke passierten sie Karyes, den Sitz des staatlichen Gouverneurs, der als Bindeglied zwischen der griechischen Regierung und der lera Kinotis, der Heiligen Gemeinschaft, fungierte, dem obersten Selbstverwaltungsorgan der Mönchsrepublik. Die zwanzig Klöster entsandten jedes Jahr wieder ihre neu gewählten Vertreter in dieses Gremium.
    Um das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken, fragte David nach einer Weile geduldigen Zuhörens: »Was tun Sie so, wenn Sie nicht gerade Ikonen malen?«
    Emanouel lachte. »Nicht viel. Frühmorgens und am späten Nachmittag haben wir Gottesdienst. Außerdem unterhalte ich mich gerne mit den zwei Novizen, mit denen ich die Kellie teile.«
    »Kellie?«
    »So nennen wir die kleinen Gehöfte, in denen drei bis sechs Mönche und Novizen untergebracht sind. Es gibt auch noch die Skiten, Mönchssiedlungen mit eigener Kapelle und Kirche. Außer an hohen Feiertagen bleiben wir in diesen überschaubaren Gemeinschaften unter uns. Ich bin eine Ausnahme, weil sich meine Werkstatt im Kloster befindet. Außerdem muss ich hin und wieder ins Malerhandbuch sehen, das in der Bibliothek von Iviron aufbewahrt wird.«
    »Und was finden Sie da?«
    »Frauen.«
    David blickte den grinsenden Fahrer erstaunt an. »Aber ich denke…«
    »Hier werden viele Ikonen von heiligen Frauen angefertigt, hauptsächlich von der Heiligen Jungfrau natürlich. Man sagt, sie sei auf dem Weg zu Lazarus von einem heftigen Sturm an den Fuß des Athos geworfen worden. Voller Bewunderung für den majestätischen Berg bat sie Jesus, ihn ihr als Geschenk zu überlassen.«
    »Und? Hat er sich breitschlagen lassen?«
    Ein Anflug von Irritation huschte über Emanouels Gesicht, aber schließlich nickte er und erwiderte: »Seit dieser Zeit nennt man den Athos auch den ›Garten der Heiligen Jungfrau‹.«
    »Schon komisch, dass hier dann nicht mal weibliche Tiere erlaubt sind.«
    »Es heißt, die Heilige Jungfrau dulde keine Rivalinnen.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mutter des Sohnes Gottes Gänse, Hühner und Kühe als Konkurrenz fürchtet.«
    Es gab eine peinliche Pause. Zum Glück tauchte bald ein stattliches Bauwerk hinter einer Kurve auf, das den Mönch zu der Bemerkung veranlasste: »Gleich sind wir da.«
    Iviron lag einfach idyllisch, eingebettet in eine wildromantische Landschaft. Bei der Auswahl des Platzes hatten die Mönche des Mittelalters einen guten Geschmack bewiesen. Als Hotel wäre das Kloster sicher in jeder Saison ausgebucht gewesen. Man hatte einen herrlichen Blick auf die blaue Ägäis.
    Der Ikonenmaler fuhr in einen Innenhof und führte den Besucher kurz darauf durch erfreulich kühle, wenn auch drückende Gänge aus mächtigen Felsbrocken. Sie passierten einige Türen, deren dunkelbraunes Holz schon eintausend Jahre alt zu sein schien. Hier und da erblickte David an den Wänden Fresken und Ikonen, allesamt Zeugnisse beeindruckender Kunstfertigkeit.
    »Wundern Sie sich bitte nicht, Mr Claymore, wenn der heilige Vater Konstantin sich meiner als Übersetzer bedient«, merkte Emanouel an. »Er könnte sich mit Ihnen ohne weiteres auch in Englisch verständigen, aber das widerspräche seinem Verständnis von Bescheidenheit.«
    David runzelte die Stirn. »Das müssen Sie mir genauer erklären.«
    »Der Prior

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