Der Kreis der Dämmerung 04 - Der unsichtbare Freund
sprang Kim in die Bresche und stutzte den Oberst zurecht. Als wieder beide Soldaten durch die Windschutzscheibe blickten, schenkte sie David ein verschmitztes Grinsen.
»Was ist nun?«
»Wir reden später noch einmal darüber.«
Die Krim zog unter ihnen hinweg. Als sie das Südufer der großen Halbinsel erreicht hatten, landete der Helikopter auf einem Flughafen bei Jalta und wurde noch einmal aufgetankt. Während sich der Kommandant des plumpen blauen Vogels um die praktischen Aspekte ihres Zwischenaufenthalts kümmerte, versuchte sein Kamerad bei dem hoch gestellten Fluggast in der Theorie zu glänzen. Er beschrieb seinen schwergewichtigen Senkrechtstarter in allen Details. David nickte lächelnd. Wenn ihn Kim unauffällig anstupste, sagte er »Da!«, was wohlwollendes Interesse signalisierte. Als der Flug endlich fortgesetzt wurde, fühlte er sich zum zweiten Mal an diesem Tag wie aus dem Wasser gezogen.
Mit über zweihundert Stundenkilometern ging es nun Richtung Südosten aufs Schwarze Meer hinaus. Dank dieser Information, die aus Kims nachgereichter Übersetzung des eben bewältigten Hubschrauberlehrgangs stammte, konnte David in etwa die zurückgelegte Strecke errechnen. Nach wie vor schienen die beiden Piloten der Mi-14 keine Notwendigkeit für irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu sehen, aber David zweifelte doch ernstlich daran, dass sie seelenruhig in die Türkei und damit in ein von der NATO kontrolliertes Gebiet eindringen würden. Der schwere Armeehubschrauber war für den amphibischen Einsatz konstruiert. David erwartete daher ein »Umsatteln« auf hoher See, eine Vermutung, die sich bald als zutreffend erweisen sollte.
Unter dem Helikopter tauchte ein kleines sowjetisches Frachtschiff auf Laut dem wasserdichten Chronographen an Davids Handgelenk war es kurz nach elf Uhr vormittags. Sie hatten in den vergangenen zweieinhalb Stunden also ungefähr fünfhundert Kilometer zurückgelegt. Die türkische Küste konnte kaum mehr als einhundertfünfzig Kilometer entfernt sein. Die nächste größere Stadt war – ein seltsamer Zufall – Trabzon. David überschlug die ungefähre Reisegeschwindigkeit des Frachters. Am Abend konnten er und Kim bereits in der Türkei an Land gehen.
Kaum hatte der Hubschrauber neben dem Frachtschiff gewassert, näherte sich auch schon ein motorgetriebenes Beiboot und übernahm die beiden Passagiere. Sollten Schiffe menschliche Eigenschaften besitzen – was für zahlreiche Seebären sowieso außer Frage stand –, dann brillierte die Feodosija durch Dickköpfigkeit und einen zähen Überlebenswillen. Wie sonst ließ sich erklären, dass eine solche Rostkonstruktion in stürmischer See noch nicht auseinander gefallen war?
David und Kim wurden von einem griesgrämigen Kapitän mit braunem Stoppelbart begrüßt, als die Mi-14 schon wieder in Richtung Krim davonratterte. Ein Matrose nahm sich des Gepäcks an. David hielt sich mal die rechte, mal die linke Backe wie jemand, den sämtliche Weisheitszähne auf einmal plagten. Kim redete unterdessen wie eine affektierte Funktionärsmätresse auf die Offiziere ein. Die Höflichkeitsfloskeln beschränkten sich auf ein Minimum. Schnell wurden die zahlenden Gäste in ihre Kabine geführt.
Während der etwa fünfstündigen Fahrt sprachen David und Kim nicht viel Es gab so vieles, das die Tochter Golizyns noch nicht über ihn wusste, das er ihr mittlerweile zu schulden glaubte, aber er traute seiner fremden Umgebung nicht. Es würde einen günstigeren Zeitpunkt geben und einen Ort ohne fremdartige Geräusche und ohne – wer konnte das schon wissen? – neugierige Ohren.
Wie vermutet, löschte die Feodosija ihre Ladung in Trabzon. Während die türkischen Behörden das Schiff inspizierten, mussten David und Kim in einem Hohlraum zwischen zwei Schotten ausharren. Nach Einbruch der Dunkelheit konnten sie endlich von Bord gehen.
Als sie das Fallreep hinunterliefen, kam ihnen auf der Pier ein schnauzbärtiger Türke mittlerer Größe und Gewichtsklasse entgegen. David erneuerte schnell noch einmal seine falsche Narbe, ließ sich von Kim die korrekte Färbung seiner Augen bestätigen und hustete das Einmannempfangskomitee an.
Zu seiner großen Erleichterung begann der Fremde in Englisch zu sprechen. »Einen wunderschönen Abend wünsche ich Ihnen. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise.«
David ahmte so gut wie möglich den Akzent Golizyns nach. »Sie wissen ja, wie es auf diesen Seelenverkäufern um den Komfort bestellt ist, mein lieber…
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